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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen
Autoren: Rolf Ulrici
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dicken Herrn Millbratt im Badetrikot auf und ab wandern, zeitunglesend, verstohlen aufpassend. Der bildete sich wohl noch ein, ich wollte was von ihr.
    Da ließ ich sie einfach sitzen. »Guten Abend«, sagte ich, obwohl es heller Vormittag war.
    »Gute Nacht«, sagte Gerda. Ihr sprödes Haar wehte wie Strandhafer.
    Ich fuhr zur Werft, um nach Pustekohls Boot zu sehen. Das Leck hatten sie schon repariert, eben waren sie bei der Kupplung. Die Sachen standen und lagen zum Trocknen herum. Nachmittags ging ich spazieren. Es wurde Abend, es wurde Nacht. Um 11 Uhr riefen Cotta und Bibi aus Bansin an.
    »Hör mal, Rex«, sagte Cotta, »wir sind hier quietschvergnügt. Kannst du nicht irgendwie noch herkommen? Lümmels Kusine ist auch da. Ein nettes Mädchen...«
    »Ach«, sagte ich, »ich soll auf fremde Mädchen verlagert werden? Sehr aufschlußreich.«
    »Aber Rex«, rief Cotta. »Was soll das heißen? Ich meine nur.«
    So gab ein Wort das andere. Schließlich sagte Cotta: »Rex, du bist ein Spielverderber. Bibi sagt, du sollst uns gestohlen bleiben.« Und legte den Hörer auf.
    Diesmal ging ich sehr ernsthaft mit mir zu Rate. Ich war hier falsch gepolt, das ließ sich nicht länger leugnen. Ich hatte kein Recht, im Schmollwinkel zu sitzen, es sei denn, ich hätte einen Paschafimmel gehabt. Den durfte ich mir nicht nachsagen lassen.
    Ansprüche? Ja, wenn es sich nur um eine gehandelt hätte!
    Zieh dich aus der Affäre, dachte ich.
    Also packte ich meine Sachen und ging am nächsten Morgen, in aller Frühe, zum Hafen.
    »Soll ich Ihnen tragen helfen?« fragte eine Stimme. Es war Gerda Millbratt.
    »Danke, es geht schon so«, sagte ich.
    Sie beschleunigte ihren Schritt, weil ich schneller lief. Sie kämpfte sichtlich zwischen Mut und Verlegenheit. Ich tat, als sei sie gar nicht da. Merkwürdigerweise gewann die Keckheit in ihr die Oberhand.
    »Soll ich der Percotta und der Rufus etwas bestellen?« fragte sie.
    Das fehlte noch. Ich blieb stehen. »Sie meinen Barbara und Raffaela?«
    »Ich meine Bibi und Cotta«, sagte sie hämisch. »Die, um derentwillen gewisse Herren so verzweifelt waren.«
    Das Scheusal erinnerte mich an meine Offenbarungen im Sektrausch. Was hatte ich ihr bloß alles erzählt?
    Gerda trug eine Sonnenbrille, so daß ich ihre Augen nicht sah. Sie nahm einen gewaltigen Anlauf und sagte doppelt frech: »Und Sie haben sogar geheult.«
    »Ihretwegen würde ich allerdings nie heulen. Weiß Gott! Ich kann mir keinen vorstellen, der um Sie heulen würde — außer Ihren Eltern.«
    Das war ein gewaltiger Schlag auf den Kopf, aber sie ging nicht in die Knie. »Sie sind gemein«, sagte sie nur. Eine Spur zu vertraulich. Das Dumme war, sie wußte zuviel von mir. Es war ihr gegeben, mich besser zu durchschauen als Cotta und Bibi.
    »So«, sagte ich. »Hier ist die Ruderbootfähre. Wenn Sie weiter mitkommen wollen, kostet es fünf Pfennig.«
    Ich stieg ein. Gerda blieb grußlos zurück. Ich hatte das Gefühl, wider Willen alles falsch gemacht zu haben. Es gibt eine Form von Schroffheit, die gewisse Menschen nicht abstößt, sondern anzieht. Na, Schwamm drüber. Ich mußte mich um mein Boot kümmern.

    Anmerkung der Sekretärin: Ich habe einige Bemerkungen über Gerda sehr gemildert, namentlich, da ich den weiteren Verlauf schon kenne. Ich muß Ihnen sagen, liebe Frau Cotta, die männliche Psyche ist mir danach ein größeres Rätsel als zuvor. Dieses Geständnis nehmen Sie aber bitte rein privat. Gruß Luthcher.

Der blinde Passagier

    Die Kupplung war gerichtet, das Leck verpicht. Daß die zwei Fensterscheiben noch fehlten, störte mich nicht. »Heute kommen Sie gut ‘rüber«, meinte der Bootsbauer Delkow, »das Haff ist spiegelglatt.«
    Ausgerechnet heute.
    Ich tuckerte noch einmal ans Bollwerk, weil ich Pustekohls Decken in der Pension vergessen hatte. Dann stach ich in See. Morgenfroh gellte eine Sirene. Über das blanke Wasser schwebte eine Möwe, setzte sich auf den Flaggenknauf und fuhr ein paar Meter mit.
    Aus den Wäldern von Usedom und Wollin drang süßer Duft.
    Vor der Kaiserfahrt öffnete sich das Haff spiegelglatt, wie Herr Delkow gesagt hatte. Unter dem seidigen Himmel, reglos, standen viele weiße Segel. Keine Welle, die meine Flucht verzögert hätte.
    Mir war, als habe sich ein Zipfel meiner Seele am Kai von Swinemünde verhakt. Immer leerer fühlte ich mich, je weiter ich kam. Erst ein Poltern unter der linken Sitzbank weckte mich aus meiner Lethargie.
    Holla, was war das?
    Die Klappe bewegte sich.
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