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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin
Autoren: Colin Falconer
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stieß ich hervor. Bruder Subillais würde wie Judas in den tiefsten Tiefen des Fegefeuers landen. So stand es unmissverständlich in der Bibel. Mir schauderte bei dem Gedanken.
    »Wir müssen darüber nachdenken, was zu tun ist.«
    »Wie meint Ihr das?«
    »Wir müssen das Ansehen der Kirche schützen«, erklärte Raymond und meinte damit, dass er sein eigenes Ansehen bewahren wollte – beim Bischof, beim Legaten und natürlich beim Heiligen Vater in Rom. Der gute Seigneur hegte offenkundig die Befürchtung, dass der Tod eines Inquisitors innerhalb der Mauern seiner Burg ihm und seiner Stellung großen Schaden zufügen könnte.
    Ich warf einen Blick auf den Tisch. Die Gebeine und der Brief befanden sich noch genau da, wo sie in der Nacht gelegen hatten.
    »Ihr solltet diesen Brief lesen«, sagte Raymond.
     
    An den Heiligen Apostolischen Vater …
     
    Dem Brief war seit der vergangenen Nacht kein Wort hinzugefügt worden.
     
    … seit ihrer Auffindung vermag ich nicht mehr zu schlafen.
     
    Als ich am Abend zuvor zum letzten Mal mit meinem Ordensbruder gesprochen hatte, war ich darüber betroffen gewesen, dass sich der Geist dieses guten, unbeugsamen Mannes als dermaßen zerbrechlich erwiesen hatte. Ich hatte das Feuer seiner religiösen Inbrunst stets für ein Flammenmeer gehalten, doch es war so leicht verlöscht wie eine Kerze.
    »Ihr seht ja, was er über die Herkunft der Gebeine schreibt.«
    »Unsere Pflichten führen oft dazu, dass wir überanstrengt sind. Daraus kann solcher Wahnsinn entstehen.«
    »Für Euch ist es also ein Anfall von Wahnsinn?«
    »Was sollte es sonst sein?«
    »Gewiss.«
    Ich hatte nur noch das Bedürfnis, den Raum zu verlassen, da ich Bruder Subillais’ Anblick nicht mehr ertragen konnte. Aber der Seigneur schien keine große Eile zu haben.
    »Etwas an der Sache stört mich«, sagte er.
    »Was meint Ihr, Raymond?«
    Er wies auf den umgestürzten Stuhl. »Wie hält ein Mann mit einem schmerzenden Bein sich lange genug auf einem Stuhl im Gleichgewicht, um einen Strick über den Balken zu werfen und sich daran aufzuhängen? Versteht Ihr?«
    »Ihr glaubt, dass jemand bei ihm war?«
    »Erscheint Euch das unmöglich?«
    Mein Mund war auf einmal staubtrocken. »Ich fürchte, dass ein Inquisitor sich im Laufe seines Lebens viele Feinde macht.«
    »In der Tat. Vermutlich gibt es viele Menschen, die Vater Subillais als einen Quell ständigen Ärgernisses betrachteten.«
    Für eine Weile hingen wir schweigend unseren Gedanken nach.
    »Wünscht Ihr, dass Euer Seneschall oder ich selbst weitere Untersuchungen anstellen?«, fragte ich ihn schließlich.
    »Haltet Ihr das für nötig, Vater?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Gut.«
    »Er war ein verzweifelter und entschlossener Mann. Ich bin sicher, dass alles genau so geschehen ist, wie es aussieht.«
    Raymond überlegte lange und fragte dann: »Was werdet Ihr nun tun, Vater?«
    »Ich werde die Knochen in einer Gebeinurne nach Rom schicken, zusammen mit einem Brief an Seine Heiligkeit. Ich werde auch den Brief von Vater Subillais beilegen, vielleicht genügt er als Erklärung, warum mein armer Bruder diese schreckliche Tat begangen hat.«
    »Und dann?«
    »Dann werde ich nach Toulouse zurückkehren. Unsere Arbeit hier ist beendet.«
    Raymond nickte zufrieden. »Ich hatte nichts damit zu tun«, versicherte er.
    »Ich verstehe.«
    Er hielt einen Moment lang inne und schien noch einmal über die Ungereimtheiten in Zusammenhang mit Bruder Subillais’ Tod nachzudenken. Dann nickte er wieder. Offenbar sah er keine Gefahr für sich. »Ihr wirkt ausgesprochen gefasst, Vater. Das ist löblich.«
    »Ich versichere Euch, dass ich innerlich keineswegs gefasst bin.«
    Raymond verließ den Raum.
    Ich überlegte, was nun zu tun war. Zuerst würde ich natürlich den Strick durchschneiden und Bruder Subillais von seinem Galgen nehmen. Und danach? Ich durfte ihn nicht in geweihter Erde begraben. Er würde seine letzte Ruhestätte in einem unmarkierten Erdloch vor den Toren der Stadt finden, seine sterblichen Überreste würden in Vergessenheit geraten und seine Seele musste im Fegefeuer brennen.
    Manch einer mag behaupten, dass er dort glücklich sei.
     
    *
     
    Meine Rückreise nach Toulouse verlief ereignislos. Unterwegs warf ich das Fläschchen mit dem Schlaftrunk, das mir Sybille de Peyrolles gegeben hatte, von einem Bergpass in die Tiefe. Das Wissen, welchem Zweck es gedient hatte, würde ihr die sieben Jahre Kerkerhaft gewiss erträglicher machen.
    Der Inhalt
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