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Die Nordischen Sagen

Die Nordischen Sagen

Titel: Die Nordischen Sagen
Autoren: Katharina Neuschaefer
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fallen, und kaum hatte sein riesiger Schädel den Boden berührt, da schnarchte er auch schon so laut, dass selbst die Leere Ginnungagap davon widerhallte.
    Ymir bemerkte nicht, dass es wärmer wurde. Die heißen Winde von Muspellheim erwärmten nach und nach die Luft, und es begann zu tauen. Ymir aber störte sich nicht am Knacken und Plätschern um ihn herum. Er schlief auch weiter, als ganze Eisberge donnernd auseinanderbrachen, und er grunzte nur, als er bereits in einem See aus Schmelzwasser lag. Dann endlich öffnete er ein Auge, aber auch nur eine Handbreit und sagte mit gewaltiger Stimme die ersten Worte, die je gesprochen wurden:
    »Äh ... nass ... äh ... schlafen ...«
    Schon war das Auge wieder zu, und Ymir löste mit seinem Schnarchen eine Lawine aus.
    Die Temperaturen in Niflheim stiegen weiter, und der schlafende Ymir schwitzte. In der linken Achsel war es besonders schlimm, und während ein kleiner Schweißbach seinen Arm hinunterlief, entstanden in der Achselhöhle ein Mann und eine Frau.
    Ein derartiges Wunder ist nur mit Riesenschweiß möglich, aber Ymir bemerkte auch davon nichts.
    »Äh.... kitzelt ...«, sagte er und schlief weiter.
    Seine Beine hingegen schliefen nicht. Sie fanden Gefallen aneinander und bekamen bald einen gemeinsamen Sohn, einen Riesen mit sechs hässlichen Köpfen. Thrudgelmir, der vor Kraft Schreiende.
    Etwas Vergleichbares ist später nie wieder passiert, aber in jenen Tagen geschahen die merkwürdigsten Dinge. So ist es überliefert, seit Tausenden und Abertausenden von Jahren.
    Aus dem Urriesen Ymir gingen die ersten Lebewesen hervor, und alle Riesen sind seine Nachkommen, auch die Reifriesen, die Sturmriesen und die gewalttätigen Bergriesen. Das Geschlecht der Riesen ist das älteste Geschlecht überhaupt und sogar noch älter als die Götter selbst. Auch wenn das im Götterreich Asgard niemand zugeben würde.

    Die Hitze Muspellheims schickte weiter warme Luftströme in die weiße Wüste des Nebelreichs. Und als das Gewimmel aus neugeborenen Lebewesen um den schlafenden Riesen zunahm, erwachte Ymir.
    »Äh ... Hunger!«
    Ohne seine Nachkommen auch nur anzusehen oder sich über ihre Existenz zu wundern, richtete er sich auf und stieg über den Mann, die Frau und Thrudgelmir, seinen sechsköpfigen Sohn, hinweg. Er stapfte durch den sulzigen Schnee und hob witternd die Nase.
    »Äh ... Essen ...«
    Und tatsächlich, vor Ymirs Augen entstand aus dem Schmelzwasser eines gigantischen Eisbergs eine Kuh. Ihr Fell war so glänzend weiß wie der Schnee, und ihre großen blauen Augen blickten den Urriesen sanft an. Langsam ging Ymir auf die Kuh zu und streichelte ihren hornlosen Kopf.
    »Äh ... Milch ...«
    Dann legte er sich unter die Kuh, und aus ihrem Euter flossen vier fette Milchströme in den Mund des Riesen. Die Milch war so nahrhaft, dass Ymir zu noch gewaltigerer Größe heranwuchs und bald so groß war wie ein Gebirge. Als er satt war, stand er auf, streichelte die riesige Kuh nochmals und gab ihr einen Namen: »Audumla.«
    Die Kuh Audumla war von nun an Ymirs Gefährtin. Sie nährte ihn und blieb bei ihm, wenn er schlief. Ymir dagegen schleppte salzige Eisblöcke als Futter heran, die Audumla gierig ableckte.
    Als sie den ersten Eisblock schon zu einem Drittel verzehrthatte, kamen plötzlich die Haare eines Mannes zum Vorschein. Audumla leckte weiter, und am zweiten Tag erschien sein ganzes Haupt. Die Kuh störte sich an seinem Erscheinen genauso wenig wie Ymir, der alles gleichgültig beobachtete, Audumla knabberte weiter, bis der Mann am dritten Tag schließlich ganz vom Eis befreit war. Sein Name war Buri, was so viel heißt wie Vater, und es ist überliefert, dass er schön war und groß und stark, ganz so, wie man es von den Göttern weiß.
    Buri, der Mann aus dem Eis, gebar sich selbst einen Sohn und nannte ihn Bur. Auch Bur war so schön wie ein Gott, wenn es die Götter schon gegeben hätte. Selbst im Zwielicht Niflheims schimmerte sein Haar wie flüssiges Gold. Und seine Augen überstrahlten sogar die türkisfarbenen Eisberge in ihrem Glanz.
    Der Urriese Ymir glotzte, zuckte die Achseln und legte sich neben seiner Kuh schlafen.
    Bur, der Sohn des Eismannes, aber machte sich auf die Reise und durchquerte die Wüsten Niflheims. Eis und Schnee schmolzen auf seiner glatten Haut, und sein lockiges Haar wehte in der milden Luft, die von Muspellheim herüberströmte. Tag und Nacht wanderte er, bis er zum Lager der Nachkommen Ymirs gelangte. Die
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