Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nordischen Sagen

Die Nordischen Sagen

Titel: Die Nordischen Sagen
Autoren: Katharina Neuschaefer
Vom Netzwerk:
in Asgard beinahe ebenso hoch geachtet wurde wie der Göttervater selbst, wusste Odin, dass Kraft und Aufrichtigkeit nicht die Tugenden waren, die die Macht der Götter auf Dauer sichern konnten. So zeugte Odin noch weitere Kinder und vermählte sich schließlich mit Frigg,einer ebenso schönen wie klugen Göttin, die noch dazu die Seidrkunst beherrschte, die Kunst, das Kommende vorherzusehen. Mit ihr an seiner Seite, so glaubte er, würde ihm bald kein Geheimnis in keiner der drei Welten mehr verborgen bleiben. Sie war auch die Einzige, der Odin Zutritt zu seinem Himmelsthron gewährte. Doch Frigg zog es vor, sich um die Familie zu kümmern. Sie schenkte Odin vier tapfere Söhne: den Kriegsgott Tyr, den strahlenden Lichtgott Balder, den blinden Höd und den Götterboten Hermod. Was die Zukunft jedoch anbelangte, schwieg sie. Und wäre Odin nicht immerzu damit beschäftigt gewesen, sein Wissen zu vermehren und seine Zauberkräfte zu stärken, hätte er vielleicht gesehen, dass in Friggs Augen manchmal Tränen schimmerten.
    In Asgard wuchs eine Göttergeneration nach der anderen heran. Odin verteilte Herrschaftsbereiche und Aufgaben, und das Leben verlief beinahe so wie das der Menschen. Die Götter waren neidisch, versuchten einander zu übertreffen, und wenn es dem eigenen Vorteil diente, schreckte kaum ein Ase vor einer Lüge zurück. Und doch gab es einen wesentlichen Unterschied zu den Menschen: Die Götter alterten nicht. Auf Friggs Rat hin übertrug Odin der schönen Göttin Idun die Macht über einen Zaubergarten weit im Westen des Götterreiches. Hier wuchsen die Äpfel der ewigen Jugend. Odin überließ Idun den Garten mit dem Befehl, von nun an alle Götter regelmäßig mit seinen goldenen Früchten zu versorgen. Künftig gab es in Asgard weder Krankheit noch Alter oder Tod. Das goldene Zeitalter hatte begonnen.

D IE GOLDENE Z EIT

    W eit entfernt, am Rande der mittleren Welt, im Osten der Wildnis Utgard stand Jarnwidr, der Eisenwald. Er bedeckte weite Flächen des Riesenlandes, und er war so dicht und düster, dass nicht einmal die Götter es wagten, ihn zu betreten. Denn zwischen den kalten grauen Stämmen, so schien es, hatte das Leben nichts zu suchen.
    Der Eisenwald bewegte sich nicht. Nie. Kein Blatt beugte sich im Regen, der Schnee brach kein Zweiglein, und es gab keinen Sturm, der dem alten Holz etwas anhaben konnte. Denn der Eisenwald war tot. Ein verfluchter Ort, den nur der schadlos betreten konnte, der selbst ein hartes Herz hatte.
    Angrboda hatte ein Herz aus Eisen.
    Es gab wenige Geschöpfe in den drei Welten, die Angrboda jemals gesehen hatten. Es hieß aber, dass sie ihre Höhle hatte, wo der Wald am dichtesten war. Seit Anbeginn der Zeit hauste sie dort und war so alt wie das Erzholz selbst.
    Manche sagten, ihr Gesicht sei voller Falten und das Haar verfilzt. Andere erzählten von einer Frau mit jungem Leib und altem Gesicht. Eines aber wussten alle Wesen in allen Welten: Angrboda, die Alte vom Eisenwald, war die Unheilsbringerin.

Der Preis des Wissens
    E ines Tages saß Odin in seinem Thronsaal und langweilte sich. Eine Wolkendecke verschleierte den Blick auf die Welten, und der Göttervater konnte nichts anderes tun, als auf die Rückkehr seiner beiden Raben Hugin und Munin zu warten. Er wartete den ganzen Tag, und erst als es Abend wurde, rauschte es in der Luft, und die beiden Raben flatterten zum Fenster herein und ließen sich auf Odins Schulter nieder.
    »Nun, was habt ihr gesehen?«, fragte der Göttervater ungeduldig. »Gibt es Zauberformeln, die ich noch nicht kenne, Wissen, das mir verborgen ist, oder Kräfte, die ich mir aneignen könnte? Welche Geheimnisse sind euch begegnet in den drei Welten?«
    »Höre, Göttervater«, krächzte Hugin, »aus dem Götterreich Asgard gibt es nichts Neues zu berichten, es wird gestritten, gelogen und gekämpft, wie an allen Tagen, von neuen Zaubern aber weiß ich nichts.«
    »Und du, Munin«, fragte der Gott, »wo warst du?«
    »Bis in die Weiten Utgards bin ich geflogen, um nach den Riesen zu sehen. Ich habe sie gesehen, aber sie warenanders als sonst. Sie schienen auf etwas zu warten, denn sie blickten immerzu nach Westen, hinüber zum Eisernen Wald. Etwas Dunkles geht vor sich, Odin. Asgards Feinde ruhen nicht. Mag sein, dass sie einen Krieg vorbereiten.«
    Wütend schleuderte der Göttervater die beiden Raben in die Luft, dass die Federn nur so stoben, und brüllte: »Einen Krieg gegen mich? Die Riesen? Was planen sie? Was versteckt sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher