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Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler

Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler

Titel: Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler
Autoren: Gerd Scherm
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seine Geliebte mit einer vorsichtigen Umarmung, so vorsichtig, als wäre sie ein Schreibried, jenes zerbrechliche Werkzeug aus Schilfrohr, mit dem nur Schreiber richtig umgehen können.
    Tani dankte Seshmosis seine behutsame Art, indem sie nicht wie andere Mädchen in ihrem Alter von den regionalen, muskelbepackten Größen im Wettlauf und Faustkampf, im Speerwurf und Steinheben schwärmte.
    Zumindest nicht in Gegenwart von Seshmosis.
    Die beiden schlenderten hinunter zum Hafen, wo Schiffe aus der ganzen Welt ankerten – schwarze Segler aus Kreta, ägyptische Frachtschiffe, die mit Zedernholz und Purpurstoffen beladen wurden, Galeeren aus den Tiefen des westlichen Meeres, die hellhäutige Sklaven brachten und dafür Gold mitnahmen. Qazabal, der Herrscher von Byblos, freute sich an dem regen Treiben, vor allem, weil es klingende Münzen in seine Schatzhäuser brachte. Und sein Zollinspektor Hiram, genannt »die Spürnase«, sorgte dafür, dass ihm kein einziges Goldstück entging. Zumindest versuchte er es.
    Seshmosis und Tani saßen auf einem Felsblock am nördlichen Ende des Hafens und sahen und hörten nichts von der Geschäftigkeit um sie herum. Sie sahen nur sich. Wie bei allen Verliebten betrug ihr Wahrnehmungsbereich nicht mehr als eine Körperlänge.
    Tanis Vater Matar handelte mit Sarkophagholz aus den Wäldern des Libanon, das er in Ägypten an die Einbalsamierer mit dem Slogan Hält länger als die Ewigkeit verkaufte. So hatte er es im Lauf der Jahre zu kleinem Wohlstand gebracht und konnte es sich leisten, dass seine Tochter als freischaffende Tempeldienerin die Nische der Seshat pflegte. Das brachte ihm Prestige in der ägyptischen Gemeinde von Byblos ein und kostete Tani schließlich nicht mehr als die eine Stunde Freizeit pro Tag. Allerdings musste sie in letzter Zeit ständig Überstunden machen. Der Seshat-Glaube fand seit kurzem in Byblos explosionsartige Verbreitung und immer mehr Anhänger. Zumindest erklärte Tani dem misstrauischen Vater ihr immer häufigeres und längeres Fernbleiben von Zuhause mit dem Umstand, dass in den vergangenen Wochen eine Vielzahl von Einwanderern angekommen sei, denen es an einer kompetenten Schreibergottheit mangle. Sie alle mussten an der Verehrungsnische der Seshat betreut und in die Grundzüge des Glaubens eingeführt werden. Das dauerte, vor allem, weil es sich um Ausländer handelte, die weder Ägyptisch noch Kanaitisch sprachen. Das leuchtete Tanis Vater ein; mit Ausländern kannte er sich aus, er war schließlich selbst einer.
    Dicht an dicht saßen die Liebenden. Seshmosis hatte sich eben zum achtzigsten Mal versichert, dass Tani fünf Finger an der Hand hatte, als diese plötzlich aufsprang.
    »Ich kann nicht mehr sitzen, der Stein ist so hart«, jammerte sie.
    »Ich finde auch, wir sollten irgendwohin gehen, wo es bequemer ist. Zu mir nach Hause zum Beispiel«, schlug Seshmosis vor.
    »Heute ist es schon zu spät, lieber Sesh. Mein Vater wird immer misstrauischer und glaubt mir die Ausrede mit den vielen Einwanderern kaum noch. Lass uns lieber gehen, ich möchte keine Schwierigkeiten bekommen«, lehnte Tani ab.
    Seshmosis liebte es, wenn ihn Tani zärtlich Sesh nannte. Und er verstand nur zu gut, dass sie Schwierigkeiten lieber aus dem Weg gehen wollte. Denn Schwierigkeiten waren dem Schreiber überaus verhasst. Schwierigkeiten, Abenteuer und Raffim lauteten die drei unangenehmsten Wörter in seinem Dasein.
    Wobei die ersten beiden Begriffe sowieso schon im Namen Raffim beinhaltet waren und noch wesentlich mehr. Der dicke Händler verkörperte für Seshmosis vieles: Raffgier, Hinterhältigkeit, Verschlagenheit, Intrigen, Betrug, Diebstahl, Unterschlagung, Heimtücke, Erfolg, Gold, Macht, Ansehen, Respekt, reichlich Dienstpersonal, eine Villa und mehrere Mätressen. Wobei die Anzahl der Letzteren seit Raffims Beziehung mit einer wohlbeleibten Astarte-Priesterin rapide abgenommen hatte. Es gab seit dieser Liaison in Raffims Leben eigentlich überhaupt keine Mätressen mehr. In Wahrheit gab es kein Leben mehr in Raffims Mätressen, aber mit diesem Wissen wollte die Priesterin ihren Geliebten nicht behelligen.
     
    Seshmosis begleitete Tani bis in die Nähe ihres Elternhauses auf der vierten Terrasse der Stadt. Zum Haus wagte er sich nicht, denn er wollte von den geschwätzigen Nachbarn nicht gesehen werden, die mit Sicherheit Tanis Vater vom Freund seiner Tochter berichtet hätten.
    Nach einem wehmütigen Abschied machte sich Seshmosis auf den Heimweg hinauf
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