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Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Titel: Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Autoren: Gerd Scherm
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Zeit zu Zeit führe ich das ›Ritual des Thot‹ durch, um einen Blick in die Zukunft zu erheischen. Eigentlich wollte ich wissen, ob unsere Reise glücklich enden würde, doch ich sah auch Euch in meinen Visionen. Falls Ihr interessiert seid, könnte ich sie Euch mitteilen.«
    Natürlich war Odysseus interessiert.
    »Gut, dann will ich Euch berichten, was ich sah. Allerdings müsst Ihr bedenken, dass die Visionen nicht unbedingt in der Reihenfolge eintreten, in der ich sie hatte. Manches gerät durcheinander, und vieles ist nur vage.«
    »Erzähl schon!«, drängte ihn der Fürst ungeduldig.
    »Ich sah Euch mit Kirke das Lager teilen.«
    »Unmöglich! Niemals werde ich in den Armen dieser Hexe liegen!«, unterbrach ihn Odysseus.
    »Ich erzähle nur, was ich sah. Wollt Ihr es hören oder nicht?«
    »Schon gut, sprich weiter!«
    »Ich sah auch, dass das gemeinsame Lager lange währte und nicht ohne Folgen blieb. Ein Kind wird dieser Verbindung entspringen, und es wird den Namen Telegonos tragen.«
    »Bist du mit dieser Hexe im Bunde?«, fragte Odysseus drohend. »Du willst mich wohl in ihre Arme treiben.«
    »Wenn Ihr mir nicht glaubt, dann kann ich ja wieder zu meinen Freunden ans Feuer gehen und mich wärmen.«
    »Nein, fahr fort!«, hielt der Fürst den Seher zurück.
    »Wenn Ihr nach Jahr und Tag diese Insel verlasst, so werden Euch viele Schrecknisse begegnen. Ihr werdet in den Hades hinabfahren, bevor Ihr gestorben seid. Ihr werdet wiederkommen und all Eure Männer verlieren, bevor Ihr in den Armen einer weiteren Zauberin landet, die Euch viele Jahre umgarnen wird.«
    »Jetzt hast du dich endgültig als Scharlatan entlarvt!«, hohnlachte Odysseus. »Kein Lebender kann in den Hades hinabsteigen, und keiner kann aus ihm zurückkehren!«
    Nostr'tut-Amus sah den Fürsten verächtlich an, dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und ließ ihn in der Dunkelheit stehen.
     
    *
     
    Bei Tagesanbruch verließ die Gublas Stolz Aiaia und segelte der Sonne entgegen. Zephyros, der Sohn des Windgottes, half ihnen mit einer kräftigen Brise, sodass sie zügig vorankamen.
    Seshmosis saß an Deck und genoss das Gefühl, Richtung Heimat zu fahren. Nostr'tut-Amus hatte ihm verraten, dass Odysseus mit seinen letzten übrig gebliebenen Gefährten noch sehr lange bei Kirke bleiben und ihnen nicht mehr in die Quere kommen würde. Eine Bewegung neben ihm schreckte Seshmosis aus seinen Gedanken. Es war der junge Skamandrios, der sich wortlos neben ihn setzte. Der Schreiber erinnerte sich an die Worte der Zauberin und wartete gespannt.
    Nach einer Weile sagte der Junge unvermittelt: »Danke, dass du mich mitgenommen hast. Ich denke, sie hätten mich erwischt und getötet.«
    »Deine Tante Kassandra bat mich darum, und ihr konnte ich nichts abschlagen. Außerdem glaube ich, dass du über mehr Talente verfügst, als Lammspieße zu rösten.«
    »Homeros meint, dass er meine Hilfe braucht. Und ich kann ja lesen und schreiben«, sagte Skamandrios stolz.
    »Ihr beide seid ein gutes Gespann. Und jetzt, wo Homeros ein neues Epos dichten will, ist er auf deine Hilfe angewiesen.«
    »Vielleicht kehre ich eines Tages in die Troas zurück. Wenn ich ein Mann geworden bin, will ich sehen, was noch da ist. Vielleicht kann man die Stadt wieder aufbauen. Immerhin ist mein zweiter Name Astyanax, das bedeutet ›Beschützer der Stadt‹. Ich denke, das ist der Grund, warum meine Tante unbedingt wollte, dass ich gerettet werde. Sie hat in ihren Visionen etwas gesehen, wofür ich gebraucht werde.«
    »Kassandra hat viel für dich riskiert, sogar mehr als ihr Leben. Sie hat es gewagt, gegen die Vorsehung zu handeln, und damit die Götter herausgefordert. Allein um ihretwillen solltest du zurückkehren. Die Gegend wird gute Männer brauchen, um wieder zu erblühen«, mutmaßte Seshmosis. »Ich glaube auch nicht, dass sich die Achäer noch einmal auf so einen Wahnsinn einlassen. Ihr werdet eure Ruhe vor ihnen haben.«
    »Das wäre gut. Ich möchte die Gegend und den Fluss, der mir meinen Namen gab, so gerne wieder sehen.«
    Seshmosis nickte, er konnte den Jungen gut verstehen.
     
    Einige Tage später landeten die Tajarim im Hafen von Lebedus. Die Stadt, die einst einer der westlichsten Vorposten des Hethiterreiches gewesen war, zeigte sich geschäftig und lebendig wie eh und je.
    Skamandrios führte Homeros von Bord der Gublas Stolz, und Seshmosis besorgte einen Träger, der das überschaubare Hab und Gut des Dichters in dessen Heimatstadt Kolophon
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