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Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott

Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott

Titel: Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
Autoren: Gerd Scherm
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dass Suchos ja wirklich in der Gestalt eines Krokodils sowohl in Theben als auch in Karnak, in Memphis, in Qurna wie auch in jedem anderen Suchos-Tempel Ägyptens gleichzeitig präsent sei. All diese erhöhten Krokodile sind Suchos, zugegeben. Aber wie sieht es mit den anderen aus? Mit denen, die gerade ohne priesterliche Gegenwart in der Sonne dösen, sich vermehren oder einen Fischer fressen? Wenn in ihnen Suchos wäre, müsste dann nicht bei jedem Krokodil von den unermesslichen Quellen des Nils bis zur Mündung ein Priester stehen? Und wenn nicht, was ist dann die Besonderheit der Krokodile in den Tempeln? Wenn in allen Krokodilen Suchos ist, was macht dann die Tempelkrokodile zu etwas Besonderem? Wenn aber nur die Tempelkrokodile etwas Besonderes sind, was spricht dann dagegen, die anderen Krokodile gottgefällig zu Hack und anderem zu verarbeiten?«, schloss Raffim mit einem Augenaufschlag, den man bei anderen Menschen als unschuldig bezeichnet hätte. Bei ihm sah es allerdings so aus, als öffneten sich zwei Falltüren im oberen Drittel seines Gesichtes.
    »Und dieser Argumentation sind der Grünschillernde Großkophta und der Goldgezähnte Hierophant gefolgt?«, staunte Seshmosis.
    »Ja, und meinen anderen Argumenten auch«, nickte Raffim.
    »Welche anderen Argumente?«
    »Kleine rechteckige und runde. Goldfarben. Durch und durch goldfarben«, grinste Raffim.
    »Ich verstehe. Du warst theologisch absolut überzeugend.«
    »Absolut!«, bekräftigte der Devotionalienhändler.
    »Lass uns nach Hause gehen. Wir haben eine schwere Zeit vor uns«, sagte Seshmosis mit leiser Stimme und trat durch die Pforte.
    Seshmosis wollte und konnte noch nicht nach Hause zurückkehren. Gleich nach Verlassen des Versammlungsortes wandte er sich nach Westen und ging zum nahen Ufer des Nils. Raffims Erwerbsquellen hatten sich längst in den Schlamm verkrochen, und der Fluss wälzte sich träge nordwärts. Die ganze Stadt schien zu schlafen.
    Seshmosis setzte sich ans dunkle Wasser und hoffte, dass die stetige Bewegung auch seine eigenen Gedanken in Bewegung bringen werde.

     
    Trotz der Abwesenheit der ihm verhassten Krokodile war es für ihn eine schreckliche Nacht. Alles war schrecklich – schrecklich schicksalsträchtig, schrecklich wichtig, schrecklich bedeutend. Und die Stechmücken, die als Einzige außer ihm noch wachten, waren auch schrecklich.
    Seshmosis seufzte. Ohne es zu wollen, hatte er Verantwortung übernommen. Dabei war er, wie sein Name schon sagte, einfach der Sohn eines Schreibers, der auch Schreiber war. Manche nannten ihn auch, ob seines Wissens, Ben Milon, den Sohn eines Wörterbuchs. Na ja, es gab Schlimmeres.
    Er war, wie gesagt, Schreiber und kein Politiker. Es behagte ihm überhaupt nicht, dass die anderen von ihm Ratschläge und Entscheidungen verlangten. Er war bisher immer einer gewesen, der aufgeschrieben hatte, was geschehen war, nicht einer, der sagte, was geschehen solle .
    Nun aber war alles anders. Die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Umstände.
    Er wusste, dass die Zeit seines Volkes, der Hyksos, der Fremden, in Ägypten vorbei war. Dabei gab es die Hyksos gar nicht. Das ägyptische Hekau Chajut, was eigentlich »Herrscher der Fremdländer« bedeutet, war lediglich ein Sammelbegriff für alle, die vor Generationen von Osten her aus der Wüste in das Land am Nil gekommen waren, um in einem fruchtbareren Gebiet ihr Glück zu machen.
    Nun, sie hatten sich dabei nicht nur auf das Glück des fruchtbaren Bodens verlassen und ein wenig nachgeholfen, indem sie die schwachen Pharaonen und Kleinkönige besiegten und unterwarfen. Jeder war seines Glückes Schmied, und manchmal wurde eben mit Schwertern geschmiedet. Das war so und wird wohl immer so bleiben.
    Aber nun wurde es eng. Vor nicht einmal zehn Jahren war Theben, sein Theben, der Ausgangspunkt für die Wende gewesen. Ein junger, stolzer Pharao, Seqenenre, den der Hyksoskönig Apophis lediglich als Marionette der Landesgeschichte betrachtete, hatte auf begehrt, war erschlagen worden, und sein Tod war ein Fanal gewesen, der schreckliche Anfang von einem schrecklichen Ende. Sein Nachfolger Kamose hatte ihn bitterlich gerächt, und der jetzige Pharao Ahmose setzte die Politik aus seiner Sicht erfolgreich fort.
    Seshmosis fühlte sich nicht als Hyksos, als Fremder. Er war hier geboren und aufgewachsen. Dabei war er nie weit weg gereist, und sobald er den Geruch des Nils nicht mehr in der Nase spürte, bekam er Heimweh. Aber daran würde er sich
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