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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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es Leni war. Sie nickte uns zu, offenbar hatte Egon ihr ein Zeichen gegeben. Ich folgte ihm ins Postamt.
    Da waren sie wieder, die Hakenkreuze.
    Ich mußte daran denken, was der Otter über den Archäologen erzählt hatte, der das fatale Symbol ausgegraben hatte. Hier suchte sich das Fußvolk alles für sein leibliches Wohl zusammen, während über seinen Köpfen der Fluch Agamemnons flatterte. Ich stellte mir vor, die lebhafte Geschäftigkeit sei ein Rauschen, wie man es in einem Meeresstrudel hört oder in den Windungen einer Muschel, und daß diese Menschen mitsamt ihren Einkäufen in die Tiefe gesogen würden. Sie konnten sich nicht dagegen wehren, es war das Hakenkreuz, das sie schwindlig machte, immer tiefer drehten sie sich ihrem sicheren Verhängnis entgegen. Ist dir nicht gut, fragte Egon im Hintergrund, du siehst so blaß aus. Im Telegraphenamt war es kirchenstill. DieSonne fiel durch ein hohes Fenster herein. Der gewürfelte Fußboden glänzte wie ein Klumpen Rückenspeck und erstreckte sich bis zu einem polierten Tresen, an dem nur ein Schalter geöffnet war. Heil Hitler, sagte die Frau, allerdings ohne zu lächeln, sie zog die Augenbrauen zusammen gegen die Sonne, ihr Teint wie aus Messing und Bohnerwachs. Egon meinte, ich solle auf einer Bank warten. Er folgte dem geflochtenen Seil zu der Beamtin, sie schob ihm ein Formular hin, er schrieb, auf den Tresen gestützt, sie rührte sich nicht hinter der Glasscheibe, ihre Augen folgten seiner schreibenden Hand, doch sie las die Worte nicht. In ihrem Amt zählte nur deren Anzahl, nicht die Bedeutung. Er schlang das eine Bein um das andere, notierte noch etwas und reichte ihr das Papier. Sie zählte die Wörter, indem sie sie mit dem hinteren Ende eines Stiftes antippte, so als würde sie bereits morsen. Andere Geräusche folgten, die Echos des Stempels, die Schublade, der Wagen, auf dem der Brief zum Telegraphisten gefahren wurde, und die Reichsmarkmünzen, das war auch noch so was: Geld. Ich wollte jetzt wirklich nach Hause.
     
    War dies zu Hause? Ich trank wie ein erschrockenes Tier. Mir gegenüber spielte Egon mit den Zwillingen Karten. Sie wollten keinen Apfelsaft, sondern Bier, weil sie sich für richtige Männer hielten. Leni briet die weiße Wurst, die sie auf dem Markt gekauft hatte, das Wasser lief uns im Mund zusammen, trotzdem traute sich keiner, etwas zu sagen. Es war alles Gold, was glänzte, in dem Gericht, das sie uns auftischte, in dem gebratenen Fett und den gebackenen Äpfeln. Wie ein Zauberkünstler streute sie bei jedem von uns eine Prise Pfeffer darüber, während sie aus den Fingern ihrer linken Hand ein bißchen Salz rieb. DieVerzauberung wurde von Egon durchbrochen. Mit einem Schlag ließ er eine schändliche Spielkarte aus Friedrichs Ärmel hervorschnellen, packte dessen Handgelenk und ließ es nicht mehr los. Trotz der Handschuhe, die wir während des Unterrichts trugen, erkannte man uns alle an den Schwielen, die das Florett an unseren Fingern hinterlassen hatte. Mensch und Waffe sind gleich alt, das haben Ausgrabungen bewiesen. Die Hand ist unsere mächtigste Waffe, denn der Mensch kam zu sich mit dem Verschwinden seiner Pfote und der Entwicklung der Hand, doch unbewaffnet ist sie ein wertloses Instrument. Was Egon festhielt, war zu einem beschämten Pfötchen geworden.
    Heinz kam hereingehinkt. Er sah zuerst das unangerührte Essen vor unseren Nasen, dann unsere Blicke, dann das Pfötchen. Er verstand und setzte sich zu uns. Da saßen wir: die Falschspieler, die Belauerer, die Verräter. Eine Situation, ideal zum Eskalieren. Dennoch warteten wir alle auf ein Zeichen des Meisters, daß es in Ordnung sei. Dieses Zeichen sah so aus, daß er zu trinken begann, hemmungslos. Heinz trank nicht mit, er gab sich beherrscht, weil er fand, er habe in den zurückliegenden Wochen gespürt, daß die Rollen inzwischen vertauscht waren. Sein Chef war zu seinem Untergebenen geworden. Der trank so viel, daß ich ihn stützen mußte, als er endlich aufstand. Wir gingen zusammen weiter, bogen in seinen Flur, eilig an den großen Fenstern vorbei, auf der Flucht vor dem leuchtenden Mondlicht. In seiner Höhle roch es nach Tieren. Er streifte sich die Schuhe von den Füßen und taumelte in seinem Rausch aufs Bett, flüsternd, daß mein Vater jetzt wohl seine Koffer packe.
    »Sein Wort gegen meines«, brummelte er. »Entweder hat man mein Gedächtnis entführt oder mich selbst.«
    Ich knöpfte ihm das Hemd weiter auf. Recht besehen war dieser Mann
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