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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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elske probieren und machte sich einen Spaß daraus, mir einzureden, es sei Apfelsaft. In der Küche des Fechtmeisters roch es an jenem Morgen wahrscheinlich nach den Zutaten für die Pastete: nach fettem Speck, Kognak, Schweinebauch, Kalbsleber, Nierchen, sauer eingelegten Röhrlingen und dem Eierteig, der zum Aufgehen unter einem Tuch auf der Fensterbank lag. Durch das offene Fenster strömten die Düfte des Landes herein, vom ausgetriebenen Gemüse im Küchengarten und vom Klee, den das Vieh vom Feld rupfte. Klee war auch im Magen des frisch geschossenen Hasen, der mit schlaffen Ohren auf dem Tisch bereitlag, um an seinen zusammengebundenen Hinterläufen aufgehängt zu werden. In ein paar Tagen würden seine Innereien abgespült werden und durch die dabei freigesetzten Gerüche alle Haustiere außer sich geraten. Jetzt roch er noch nach dem Sand in seinem Pelz und dem Gras zwischen seinen Zehen. Genau wie Gustav, das Kaninchen, das noch quietschlebendig unter dem Tisch herumhoppelte. Diesem Riesenviech war alles egal, zumindest aber ganz sicher das, was sich über seinem Kopf abspielte. Es kötelte zwar ordentlich in eine Ecke, schlug aber in jedes Möbelstück, an dem es vorbeikam, seine Zähne. Schüttelte den Kopf, balancierte auf seinen großen Füßen und putzte sich mit beiden Vorderpfoten die Ohren. Ich fiel von einem Staunen ins nächste. Von Bötticher reichte Gustav ein Stück Speck, das nach und nach zwischen dessen mahlenden Kiefern verschwand.
    »Das wußten Sie nicht, was? Kaninchen fressen alles.Sogar Fleisch«, sagte von Bötticher. »Genau wie Rinder, die Kadaver leerräumen auf der Suche nach Mineralien. Noch nie eine Kuh gesehen mit einem toten Kaninchen im Maul? Die wollen auch mal auf einem Knochen rumkauen, wegen des Kalks. In der Natur heißt es, fressen oder gefressen werden. Eine unumstößliche Tatsache. Da bleibt nichts übrig. Wenn ein Tier stirbt, sind die Insekten als erste da. Fliegen und Milben riechen diesen Hasen schon kilometerweit. Als nächstes kommen die Raubvögel und reißen die Haut ab, so daß Füchse und Dachse mühelos an die Innereien herankommen. Aber nach ein paar Tagen platzt ein Kadaver durch die Verwesung auch von allein auf.«
    Er strich dem Hasen über das Fell und roch an seiner Hand. »Der hier muß jetzt gleich in den Keller. Wo bleibt Leni bloß?«
    »Werden Sie Gustav auch essen?«
    »Und ob! Mit Preiselbeeren. Oder einreiben mit Sahne, in Riesling schmoren, mit Pastinaken servieren. Oder eine Nacht lang in Buttermilch legen und dann im Speckmantel braten. Ich werde ihn bestimmt mit Sorgfalt zubereiten. Leni, endlich!«
    Leni war noch nicht ganz in der Küche, da trat sie schon nach Gustav, den das ziemlich kaltließ. »Das Scheusal hier hat die Fransen an allen Teppichen abgenagt. Und was seh ich da: noch mehr Kötel. Herr von Bötticher, ich bitte Sie, ich flehe Sie auf meinen kaputten Knien an, lassen Sie die Viecher doch mal eine Woche draußen, das bedeutet für mich viel weniger Dreck, die Nächte sind noch warm genug.«
    »Und ich? Woran soll ein einsamer Mann wie ich sich dann wärmen?«
    Leni breitete die Arme aus. »Einsam werden Sie bleiben, wenn Sie die Frauen, die zu Besuch kommen, in den Taubenschlag stecken!«
    Irritiert warf ihr von Bötticher den Hasen in die Arme. »Da, Mensch. Ab damit in den Keller!«
    Heinz kam in die Küche, setzte sich und schaute zu, wie von Bötticher eine Wurst in dünne Scheiben schnitt. Hier wurde ein Morgenritual vollzogen. Der Chef kochte Eier, holte einen jungen Käse aus dem Wasser, servierte Sahne zu einem Körbchen mit Johannisbeerrispen, legte einen Brotzopf auf den Tisch. Sein Knecht rührte keinen Finger. Er rückte den Stuhl seiner Frau an den Tisch, und gemeinsam beteten sie still. Durch die Wimpern sah ich, wie von Bötticher schamlos auf ihre gesenkten Lider starrte. Ich denke, es bereitete ihm Vergnügen, daß sie nach ihrem Moment mit Gott als erstes sein Gesicht sahen, seine zerstörte Visage. Nach dem Gebet sah er zu, wie das Essen in unseren Mägen verschwand, als wären wir herrenlose Hunde. Er selbst aß fast nichts. Als die Schalen sich allmählich leerten, durchbrach er die Stille in feierlichem Ton, er sagte: »Na, Janna, haben Sie mir nichts mitgebracht? Vielleicht etwas von Ihrem Vater?«
    Lenis Augen schossen Feuer, ihr Mann kaute ruhig weiter, der verbrannte sich öfter mal das Maul, ein Brief, na wenn schon. Ich legte mein Messer auf den Teller zurück.
    »Ich habe einen Umschlag für
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