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Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte

Titel: Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Jahreszyklus das Interesse am Gang der Gestirne, allen voran der Sonne: Wer vom Ackerbau abhängig ist und an einem festen Ort die Veränderungen der Natur übers Jahrmiterlebt, misst dem ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen eine besondere Bedeutung bei. Gleichzeitig ermöglichte der feste Ort verbindliche Himmelsbeobachtungen, und der Blick der Menschen richtete sich gen Himmel, der voller Geheimnisse war, aber ebenso Hinweise gab auf wiederkehrende Veränderungen auf der Erde, auf den richtigen Zeitpunkt für Aussaat und Ernte. Daher brachten die Menschen dem Himmel ebenso religiöse Verehrung entgegen wie der fruchtbaren Erde, die sie ernährte.
    Der symbolische Stoff der unerschütterlichen Beständigkeit des Daseins in seinem unendlichen Zyklus von Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt war Stein, sozusagen ein unvergänglicher Ort für die Seele der Toten. Davon zeugen neben den Steinkreisen, von denen es in Europa viele Hundert gibt – wenn sie auch zumeist erheblich weniger spektakulär als Stonehenge sind –, weitere archäologische Fundstätten. Während für uns heute Gestein eher als tote Materie gilt und der Tod wiederum als Ende, steckte für die zyklisch denkenden Menschen der Jungsteinzeit im Tod der Keim für neues Leben, für Wiedergeburt − so wie nach dem Winter die Natur zu neuem Leben erwacht. Insofern barg auch der vermeintlich tote Stein neues Leben in sich, was der Grund gewesen sein dürfte, für Grabstätten, aber auch für die Anlage von Stonehenge das Material Stein zu verwenden. Und weil unvergänglich, besaß Stein im rituell-symbolischen Denken ungeheure Kräfte. Die Verwendung großer Steine ist also nicht grundlos ein Markenzeichen jener Zeit, weshalb zu Recht von der Megalithkultur die Rede ist.

    In diesen Zusammenhang müssen wir Stonehenge stellen, wenn auch eindeutige Aussagen schwierig bleiben und die strittigen Fragen so umfänglich, dass die Bücher darüber viele Regalmeter füllen. Gleichwohl: Stonehenge war ein religiöses, kultischesMonument, das als Grab- und Opferstätte sowie als Versammlungsort diente. Für die Ausrichtung hatten die Menschen des Neolithikums ebenso religiöse Gründe. Den sichtbaren Himmelskörpern kam in der religiösen Vorstellungswelt der Jungsteinzeit besondere Bedeutung zu, weil sie rätselhaft waren und weil sie das Leben strukturierten: allen voran die Sonne, die den Tag und den Jahresablauf bestimmte, aber ebenso der Mond mit seinem Zyklus. Im Falle von Stonehenge, das nicht das einzige vorzeitliche Bauwerk zur kultischen Himmelsschau ist, wurde die Ausrichtung von der möglicherweise anfänglichen Beobachtung des Mondes später auf die Sonne hin verändert.

    Stonehenge lässt sich also wohl nur sehr vorsichtig als vorzeitliches Observatorium bezeichnen, denn für eine astronomische Tätigkeit nach unserer Vorstellung wurde es nicht errichtet – und auch nicht, um vermeintlichen Weltgeheimnissen auf die Spur zu kommen. Die astronomische Orientierung des Baus diente religiösen, kultischen Zwecken. Gleichwohl mag ein solches, in jahrhundertelanger Gemeinschaftsarbeit errichtetes Bauwerk auch lebensnah genutzt worden sein, um aus der Beobachtung von Sonne und Mond und anderer mit bloßem Auge erkennbarer Gestirne kalendarische Schlüsse für Aussaat und Ernte und für den Zeitpunkt regelmäßig wiederkehrender Festtage zu ziehen. Die Grenzen zwischen »profanem« und religiösem Zweck von Stonehenge waren dabei so fließend, wie tägliches Leben und Mythos ununterscheidbar eng verwoben waren. Die konkrete Sicherung der Lebensgrundlagen besaß ebenso eine kultische Dimension, wie die Erde als Nährboden und die Sonne als Lebensspender kultische Verehrung genossen. Höchstwahrscheinlich waren insbesondere die Äquinoktien, also Winter- und Sommersonnenwende, als Scheitelpunkte des Jahreszyklus besonders wichtige kultische Festtage − und eben auf diese Himmelskonstellationen und ihr visuelles Erleben war Stonehenge ausgerichtet. Über diese Zwecke hinausgehende Erklärungen für den Zweck von Stonehenge bleiben spekulativ und sind wenig geeignet, den neolithischen und bronzezeitlichen Menschen und ihrer Lebenswelt gerecht zu werden.
    So rätselhaft das komplexe Bauwerk in vielen Detailfragen auch bleibt, es lässt sich vorstellen, wie vor allem an einem Tag sich in seiner Mitte ein erlesener Kreis von Menschen drängte: Zur Sommersonnenwende nämlich ermöglichten Himmelskonstellation und menschliches Bauwerk in Form der Steinkreise ein
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