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Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W
Autoren: Urlich Plenzdorf
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er hätte es überhört. Beispielsweise das mit den Miniröcken. Die Weiber, ich meine: die Mädchen aus unserer Klasse, sie konnten es nicht bleibenlassen, in diesen Miniröcken in der Werkstatt aufzukreuzen, zur Arbeit. Um den Ausbildern was zu zeigen. X-mal hatten sie das schon verboten. Das stank uns dann so an, daß wir mal, alle Jungs, eines Morgens in Miniröcken zur Arbeit antraten. Das war eine ziemliche Superschau. Ed hielt sich da raus. Das war ihm wohl auch zu albern.«

    Leider hatte ich nichts gegen kurze Röcke. Man kommt morgens völlig vertrieft aus dem ollen Bett, sieht die erste Frau am Fenster, schon lebt man etwas. Ansonsten kann sich von mir aus jeder anziehen, wie er will. Trotzdem war die Sache ein echter Jux. Hätte von mir sein können, die Idee. Rausgehalten hab ich mich einfach, weil ich Muttern keinen Ärger machen wollte. Das war wirklich ein großer Fehler von mir: Ich wollte ihr nie Ärger machen. Ich war überhaupt daran gewöhnt, nie jemand Ärger zu machen. Auf die Art muß man sich dann jeden Spaß verkneifen. Das konnte einen langsam anstinken. Ich weiß nicht, ob mich einer versteht. Damit sind wir beim Thema, weshalb ich zu Hause kündigte. Ich hatte einfach genug davon, als lebender Beweis dafür rumzulaufen, daß man einen Jungen auch sehr gut ohne Vater erziehen kann. Das sollte es doch sein. An einem Tag war ich mal auf den blöden Gedanken gekommen, was gewesen wäre, wenn ich plötzlich abkratzen müßte, schwarze Pocken oder was. Ich meine, was ich dann vom Leben gehabt hätte. Den Gedanken wurde ich einfach nicht mehr los.

    »Wenn Sie mich fragen — Ed ging weg, weil er Maler werden wollte. Das war der Grund. Mist war bloß, daß sie ihn an der Kunsthochschule ablehnten in Berlin.«
    »Warum?«
    »Ed sagte: Unbegabt. Phantasielos. Er war ziemlich sauer.«

    War ich! Aber Fakt war, daß meine gesammelten Werke nicht die Bohne was taugten. Weshalb malten wir denn die ganze Zeit abstrakt? — Weil ich Idiot nie im Leben was Echtes malen konnte, daß man es wiedererkannt hätte, einen ollen Hund oder was. Ich glaube, das mit der ganzen Malerei war eine echte Idiotie von mir. Trotzdem war die Szene an sich nicht schlecht, wie ich da in diese Hochschule klotzte und gleich rein in das Zimmer von diesem Professor und wie ich ihm meine gesammelten Werke knallhart auf den Tisch blätterte.
    Er fragte erst mal: Wie lange machen Sie das schon?
    Ich: Weiß nicht! Schon lange.
    Ich sah ihn nicht mal an dabei.
    Er: Haben Sie einen Beruf?
    Ich: Nicht daß ich wüßte. Wozu auch? Mindestens da hätte er mich rausschmeißen müssen! Aber der Mann war hart. Er blieb bei der Stange!
    Er: Hat das irgendeine Ordnung? Was ist das letzte, was das erste?
    Er meinte meine Ausstellung auf seinem Tisch. Ich: Die frühen Sachen liegen links.
    Die frühen Sachen! Leute! Das hatte ich gut drauf. Das war ein Tiefschlag.
    Er: Wie alt sind Sie?
    Der Kerl war wirklich hart!
    Ich nuschelte: Neunzehn!
    Ich weiß nicht, ob er mir das glaubte.
    Er: Phantasie haben Sie. Das ist keine Frage, überhaupt keine, und zeichnen können Sie auch. Wenn Sie einen Beruf hätten, würde ich sagen: technischer Zeichner.
    Ich fing an, meine Blätter einzupacken.
    Er: Ich kann mich auch irren. Lassen Sie uns Ihre Sachen für ein paar Tage hier. Vier oder sechs Augen sehen bekanntlich mehr als zwei. Ich packte ein. Eisern. Ein verkannteres Genie als mich hatte es noch nie gegeben.

    »Trotzdem seid ihr in Berlin geblieben?«
    »Ed — ich nicht. Ich konnte das nicht. Aber ich hab ihm noch zugeredet. Theoretisch war das auch richtig. Schließlich kann einer nirgends so gut untertauchen wie in Berlin und sich einen Namen machen. Ich meine, ich hab ihm nicht etwa gesagt, bleib hier oder so. Auf die Art kam man an Ed nicht ran. Wir hatten in Berlin eine Laube. Wir kamen aus Berlin, als Vater hierher versetzt wurde. Die Laube wurden wir nicht los, da sollten angeblich sofort Neubauten hin. Ich hatte für alle Fälle den Schlüssel. Diese Bude war noch ganz gut in Schuß. Wir nahmen sie also in Augenschein, und ich redete die ganze Zeit dagegen. Daß das Dach hin ist. Daß einer die ollen Decken vom Sofa geklaut hätte. Unsere alten Möbel waren da drin, wie das so ist. Und daß die Laube eben auf Abriß steht, wegen dieser Neubauten. Ed biß sich denn auch immer mehr fest. Er packte seine Sachen aus. Was heißt Sachen? Mehr als die Bilder hatte er eigentlich nicht, nur, was er auf dem Leib hatte. Seine Rupfenjacke, die hatte er
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