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Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W
Autoren: Urlich Plenzdorf
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Reiß dich zusammen.

    »Es soll Tonbänder von Edgar geben, die er besprochen hat? Sind sie greifbar? Ich meine, kann ich sie hören?
    Gelegentlich?«
    »Ja. Das geht.«

    Die Tonbänder:
    kurz und gut / wilhelm / ich habe eine bekanntschaft gemacht / die mein herz näher angeht — einen engel — und doch bin ich nicht imstande / dir zu sagen / wie sie vollkommen ist / warum sie vollkommen ist / genug / sie hat allen meinen sinn gefangengenommen – ende

    nein / ich betrüge mich nicht — ich lese in ihren schwarzen äugen wahre teilnehmung an mir und meinem Schicksal — sie ist mir heilig — alle begier schweigt in ihrer gegenwart — ende

    genug / wilhelm / der bräutigam ist da — glücklicherweise war ich nicht beim empfange — das hätte mir das herz zerrissen — ende

    er will mir wohl / und ich vermute / das ist lottens werk / denn darin sind die weiber fein und haben recht / wenn sie zwei Verehrer in gutem vernehmen miteinander erhalten können / ist der vorteil immer ihr / so selten es auch angeht — ende

    das war eine nacht — wilhelm / nun überstehe ich alles — ich werde sie nicht wiedersehn — hier sitz ich und schnappe nach luft / suche mich zu beruhigen / erwarte den morgen / und mit Sonnenaufgang sind die pferde

    o meine freunde / warum der ström des genies so selten ausbricht / so selten in hohen fluten hereinbraust und eure staunende seele erschüttert — liebe freunde / da wohnen die gelassenen herren auf beiden seiten des ufers / denen ihre gartenhäuschen / tulpenbeete und krautfelder zugrunde gehen würden / die daher in Zeiten mit dämmen und ableiten der künftig drohenden gefahr abzuwenden wissen — das alles / wilhelm / macht mich stumm — ich kehre in mich selbst zurück und finde eine weit — ende.

    und daran seid ihr alle schuld / die ihr mich in das joch geschwatzt und mir so viel von aktivität vorgesungen habt — aktivität — ich habe meine entlassung verlangt — bringe das meiner mutter in einem säftchen bei — ende

    »Verstehn Sie’s?«
    »Nein. Nichts...«

    Könnt ihr auch nicht. Kann keiner, nehme ich an. Ich hatte das aus dieser alten Schwarte oder Heft. Reclamheft. Ich kann nicht mal sagen, wie es hieß. Das olle Titelblatt ging flöten auf dem ollen Klo von Willis Laube. Das ganze Ding war in diesem unmöglichen Stil geschrieben.

    »Ich denke manchmal — ein Code.«
    »Für einen Code hat es zuviel Sinn.
    Ausgedacht hört es sich auch wieder nicht an.«
    »Bei Ed wußte man nie. Der dachte sich noch ganz andere Sachen aus. Ganze Songs zum Beispiel. Text und Melodie! Irgendein Instrument, das er nach zwei Tagen nicht spielen konnte, gab’s überhaupt nicht. Oder nach einer Woche, von mir aus. Er konnte Rechenmaschinen aus Pappe baun, die funktionieren heute noch. Aber die meiste Zeit haben wir gemalt.«
    »Edgar hat gemalt? — Was waren das für Bilder?«
    »Immer DIN A 2.«
    »Ich meine: was für Motive? Oder kann man welche sehen?«
    »Nicht möglich. Die hatte er alle bei sich. Und >Motive< kann man nicht sagen. Wir malten durchweg abstrakt. Eins hieß Physik. Und: Chemie. Oder: Hirn eines Mathematikers. Bloß, seine Mutter war dagegen. Ed sollte erst einen >ordentlichen Beruf< haben. Ed hatte ziemlich viel Ärger deswegen, wenn Sie das interessiert. Aber am sauersten war er immer, wenn er rauskriegte, daß sie, also seine Mutter, mal wieder eine Karte von seinem Erzeuger..., ich meine: von seinem Vater..., ich meine: von Ihnen zurückgehalten hatte. Das kam hin und wieder vor. Dann war er immer ungeheuer sauer.«

    Das stimmt. Das stank mich immer fast gar nicht an. Schließlich gab es immer noch so was wie ein Briefgeheimnis, und die Karten waren eindeutig an mich. An Herrn Edgar Wibeau, den ollen Hugenotten. Jeder Blöde hätte gemerkt, daß ich eben nichts wissen sollte über meinen Erzeuger, diesen Schlamper, der soff und der es ewig mit Weibern hatte. Der schwarze Mann von Mittenberg. Der mit seiner Malerei, die kein Mensch verstand, was natürlich allemal an der Malerei lag.

    »Und deswegen ging Edgar weg, glauben Sie?«
    »Ich weiß nicht... Jedenfalls, was die meisten denken, Ed ging weg wegen dieser Sache mit Flemming, das ist Quatsch. Warum er das gemacht hat, versteh ich zwar auch nicht. Ed hatte nichts auszustehen. Er war Chef in allen Fächern, ohne zu pauken. Und er hielt sich sonst immer aus allem raus. Ärger gab es bei uns öfter. Viele sagten: Muttersöhnchen. Natürlich nicht öffentlich. Ed war ein kleiner Stier. Oder
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