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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
Autoren: Kai Meyer
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neuen Taten anspornt und nicht etwa zum Ausruhen reizt. Erzählte ich Euch schon die Geschichte, als mich in einer Nacht am Hofe von Karl V. zwölf Zofen hintereinander mit ihren Reizen beglückten? Ha, ich sage Euch, selbst nach der letzten war ich zu weiteren Spielen aufgelegt! Ein Zustand, der sich erst einen Tag später legte, als ich einen mörderischen Juckreiz zwischen den Schenkeln bemerkte und mein bestes Stück fortan für Wochen mit stinkendem Kräutersud bestreichen mußte.)
    Angelina stimmte meinem Vorschlag, Faustus zu folgen, mit einem Nicken zu. Sie stand nicht wie ich in seinen Diensten und war nicht an seine Order gebunden. So gab sie sich keine Mühe, ihre Ungeduld im Zaum zu halten. Auch sie drängte es zu erfahren, was im Haupthaus der Schloßruine vorging, und weshalb Faustus die Reise nach Rom so plötzlich unterbrochen hatte. Sie hatte fraglos ein Recht darauf.
    Nachdem wir die Kratzspuren an ihrem Hinterkopf und auf ihrem Handrücken notdürftig versorgt hatten, rüsteten wir uns mit Schwert und Dolch und machten uns auf den Weg.
    Die Trümmerlandschaft lag im Schatten einiger Wolken, als wir ins Freie traten. Sie hatten den Mond verschluckt und gossen gespenstische Finsternis über den Wald. Das fehlende Licht machte es noch schwieriger nach Schlangen Ausschau zu halten; wir sahen auch keine einzige. Wir hörten kein Zischeln und wurden nicht gebissen. Vielleicht hatten wir einfach nur Glück.
    Je näher wir dem Haupthaus kamen, desto gewaltiger erschien es mir. Allein die verwinkelte Giebellandschaft seiner Dächer war wie eine Stadt für sich, eine Ansammlung dunkler Spitzen, Schrägen und Täler, ein Gebirge aus Schieferziegeln. Der steinerne Sockel, auf dem sich das Gebäude erhob, wuchs riesig vor uns in die Höhe. Die weitgeschwungenen Freitreppen an Vorder-und Rückseite zählten an die sechzig Stufen. Der Fürst, der diese Anlage vor Jahrhunderten erbaut hatte, mußte über unermeßlichen Reichtum und eine ebenso große Familie verfügt haben; für wen sonst hätte er dieses Bauwerk errichten sollen? Dabei war das Haupthaus nur ein einziges Gebäude von vielen gewesen, die heute alle in Trümmern lagen.
    Angelina schien weit weniger beeindruckt als ich selbst, denn sie verschwendete keinen Blick an die Giebelzacken und Spitzbogenfenster. Sie lief neben mir auf das Gebäude zu und starrte dabei vor sich auf den Boden. Die Erkenntnis, daß sie die Schlangen offenbar mit ähnlichem Widerwillen erfüllten wie mich selbst, ließ mich insgeheim aufatmen. Nicht einmal ihre jahrelange Ausbildung hatte ihr alle Ängste nehmen können. In ihr steckte mehr von einem gewöhnlichen Mensch, als ihr ungeheures Kampfgeschick vermuten ließ.
    Wir preßten uns an den grauen Steinsockel. Er endete etwa drei Mannslängen über uns an einer efeuumrankten Balustrade. An seinem Fuß pirschten wir bis zur Treppe. Es mochte gefährlich sein, die Stufen so offen und von allen Seiten sichtbar zu ersteigen, doch es schien keinen anderen Weg ins Haus zu geben. Wir hatten nur die Wahl zwischen dieser Treppe oder jener an der Vorderseite. Für unsere Zwecke war eine so ungeeignet wie die andere. Und doch, was blieb uns übrig?
    Wir eilten so leise wie möglich nach oben und verharrten unterhalb der Balustrade. Hinter ihr befand sich ein schmaler Weg, der rund ums Haus zu führen schien. Die Kerzen hinter den hohen Fenstern blieben erloschen. Nichts rührte sich. Keine Menschenseele war zu sehen, kein Laut zu vernehmen.
    Ich erinnerte mich an das, was Faustus über das Schloß erzählt, hatte. Es stand seit einer halben Ewigkeit leer. Das aber mußte bedeuten, daß es hier weder Wachtposten noch Bedienstete gab. Allein die Menschen, die zu Faustus’ mysteriöser Zusammenkunft gehörten, befanden sich im Inneren des Gemäuers.
    Ich flüsterte Angelina meine Gedanken ins Ohr, und sie nickte. Offenbar war sie der gleichen Ansicht.
    Allerdings wußten wir nichts über die Art dieses Treffens. Das große Geheimnis, das Faustus darum machte, schien auf etwas Verbotenes hinzudeuten. Möglicherweise würde man nicht zögern, zwei unliebsame Zeugen zu beseitigen. Auf Faustus konnten wir uns dabei nicht verlassen; wir wußten nicht, wie schwer sein Wort in dieser Runde wog. Es war also auch ohne Wachtposten ratsam, größte Vorsicht walten zu lassen.
    Wir nahmen die letzten Stufen mit wenigen Schritten, dann blickten wir durch die milchigen Scheiben ins Haus. Es war dunkel hinter den Fenstern, und doch war zu erkennen, daß
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