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Die neue arabische Welt

Die neue arabische Welt

Titel: Die neue arabische Welt
Autoren: Annette Großbongardt
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Übergangs, immer wieder zaudert oder gegen Demonstranten vorgeht; schwere Übergriffe gegen Christen haben Konflikte mit den religiösen Ultras angeheizt. »Demokratie ist kein plötzliches Paradies«, warnt der populäre ägyptische Schriftsteller und Regimekritiker Alaa al-Aswani in einem Gespräch.
    Auch wenn der Ausgang des »arabischen Frühlings« ungewiss bleibt, so ist doch ein Prozess in Gang gesetzt, der vielleicht immer wieder gebremst werden kann, aber langfristig nicht mehr zu stoppen scheint. Ein neues, hochspannendes Kapitel in der langen Geschichte der Araber hat begonnen.
     
    Hamburg, im August 2011
Annette Großbongardt, Norbert F. Pötzl

TEIL I
URSPRÜNGE

Welt aus den Fugen
    Rückständig, zerstritten, unterdrückt – seit
Jahrhunderten kommen die arabischen Länder
nicht voran. Nun rebelliert das Volk, erringt
Siege, doch etliche Regime schlagen zurück.
Arabiens Zukunft bleibt ungewiss.
     
    Von Bernhard Zand
     
     
    Kairo, im Winter 2001. Wie seit Jahrzehnten zogen von den Stahlwerken in Helwan braune Schwaden herein, wie jeden Winter verbrannten die Bauern im Nildelta ihr Reisstroh, beißender Smog lag über der Stadt. Ochsenkarren hielten auf dem Nusha-Boulevard den Verkehr auf, vom Flughafen bis ins Zentrum stauten sich die Autos. Müllmänner kehrten den Sand auf die Straße, damit der Fahrtwind der Autos ihn am nächsten Morgen wieder auf den Gehsteig zurückblies – bevor der nächste Stau begann. Diese Stadt, dieser scheinbar unregierbare, irgendwo im letzten Jahrhundert steckengebliebene Moloch mit 16 Millionen Menschen sollte die Hauptstadt der arabischen Welt sein?
    Auf eine Weise war sie das wohl: Kairo war die Hauptstadt des Immergleichen, in der die Beharrungskräfte stärker waren als jeder Ansatz zur Neuerung, das Zentrum einer Welt, die sich offenbar nie veränderte. Seit 20 Jahren regierte damals ein Mann das Land, dessen Amtsperioden sich so zuverlässig zu wiederholen schienen wie einst der Zyklus des Nilhochwassers. Die ägyptische Metropole war eine Hauptstadt des Stillstands.

    Kairo, im Frühjahr 2011: Immer noch staut sich auf der Nusha der Verkehr, immer noch ziehen von Helwan die braunen Schwaden herein. Doch im Februar wurde Präsident Husni Mubarak zum Rücktritt getrieben, von seinem eigenen Volk; fast drei Jahrzehnte lang hatte er am Ende regiert, fast zwei Drittel der Ägypter erlebten nie einen anderen Staatschef als den Mann, den sie den »Pharao« nannten. Er zog sich mit seiner Familie in ein Refugium auf dem Sinai zurück. Hier, im milden Klima des Badeortes, wollte er seine letzten Tage verbringen.
    Zwei Monate lang, einen Wimpernschlag gemessen an seiner Amtszeit, hat das Volk dies geduldet. Aber dann zog es wieder auf den Tahrir-Platz und verlangte, dass der abgesetzte Präsident zur Rechenschaft gezogen wird. Die vom Militär kontrollierte Übergangsregierung folgte dem Willen der Demonstranten: Mubarak wurde festgesetzt und verhört, seine Söhne landeten im Tora-Gefängnis vor den Toren von Kairo.
    Dieselbe Regierung allerdings zeigte sich hilflos, als im Stadtteil Imbaba radikale Islamisten eine koptische Kirche in Brand setzten und zwölf Menschen getötet wurden, ja sie duldete, dass Soldaten junge Demonstrantinnen festnahmen, um in einer erniedrigenden Prozedur festzustellen, ob sie noch Jungfrauen seien.
    Gibt es gleichwohl einen Zweifel daran, dass das einst so lethargische Kairo die Hauptstadt eines neuen Arabien ist? Kairo ist zum Zentrum einer Bewegung geworden, die in Tunesien begann, die ganze Region erfasste – und in immer mehr Ländern in immer andere Richtungen auseinanderzustieben scheint.
    Von Marokko bis in den Oman, von Syrien bis in den Jemen erheben sich die Völker gegen ihre autokratischen Präsidenten, ihre Könige, Sultane und Militärdiktatoren.
Zwei dieser Machthaber sind zurückgetreten, andere haben Zugeständnisse gemacht.
    Etliche Despoten aber schlagen zurück: In Libyen und in Syrien bombardieren die Regime ihre eigene Bevölkerung, im Jemen sind seit Beginn der Proteste Hunderte ums Leben gekommen, in Bahrain haben sogar die Armeen der Nachbarstaaten eingegriffen, um den Aufstand niederzuschlagen. Selbst in Tunis, das sich als erste arabische Hauptstadt vom Autokraten befreite, foltert der alte Machtapparat weiter. Und in Kairo ist so offen wie überall in dieser aus den Fugen geratenen Region, ob der »arabische Frühling« die Hoffnungen der Menschen erfüllt oder ihre Ängste bestätigt.
    Dass es auch nur so
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