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Die Nebel von Avalon

Titel: Die Nebel von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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ernst. Sie glaubte, sie würden immer an die Worte der Priester denken, die predigten, die Frau sei in Sünde geboren. Aber die Mädchen waren unschuldig und fröhlich wie Vögelchen. Sie erzählten Morgaine begeistert von ihrer neuen Kapelle und baten sie, sich auszuruhen, während sie ein Pflanzloch aushoben.
    »Eure Verwandte ist hier begraben?« fragte eines der Mädchen. »Könnt Ihr lesen, was da steht? Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal lesen lernen werde. Meine Mutter sagte, es schickt sich nicht. Aber als ich hierherkam, verlangte man, daß ich das Meßbuch lesen kann. Deshalb kann ich jetzt Latein. Seht Ihr«, verkündete sie stolz und las, »König Artus errichtete dieses Grabmal für seine Verwandte und Wohltäterin, die Herrin vom See, die durch Verrat an seinem Hof das Leben verlor… das Datum kann ich nicht entziffern, aber es war vor langer Zeit.«
    »Sie muß eine sehr heilige Frau gewesen sein«, sagte ein anderes Mädchen. »Denn man erzählt, daß Artus der beste und christlichste aller Könige war. Er hätte keine Frau hier begraben lassen, wenn sie keine Heilige gewesen wäre!«
    Morgaine lächelte. Sie mußte an die Mädchen im Haus der Jungfrauen denken. »Ich würde sie keine Heilige nennen. Aber ich habe sie geliebt. Zu ihrer Zeit gab es Menschen, die sie wie eine böse Zauberin haßten.«
    »König Artus hätte nie eine böse Zauberin hier bei den Heiligen begraben lassen«, erklärte das Mädchen. »Und was Zauberei angeht… es gibt unwissende Priester und unwissende Menschen, die nur allzugern Zauberei rufen, wenn eine Frau nur ein bißchen klüger ist als sie selbst! Werdet Ihr hierbleiben und den Schleier nehmen, Mutter?« fragte sie. Die Anrede verwirrte Morgaine, aber dann erkannte sie, daß die jungen Frauen ihr mit derselben Achtung und Ehrerbietung begegneten wie ihre eigenen Mädchen im Haus der Jungfrauen, als gehöre sie zu ihnen.
    »Meine Gelübde binden mich an einen anderen Ort, meine Tochter.«
    »Ist Euer Kloster so schön wie hier? Mutter Lionors ist eine freundliche Frau«, sagte das Mädchen, »wir sind alle sehr glücklich hier. Einmal hatten wir unter unseren Schwestern eine Frau, die früher Königin war. Ich weiß, wir werden alle in den Himmel kommen«, sprach das Mädchen lächelnd weiter. »Aber sicher ist es auch dort gut, wo Ihr Eure Gelübde abgelegt habt. Ich dachte nur, Ihr wolltet vielleicht hierbleiben, damit Ihr für die Seele Eurer Verwandten beten könnt.« Die Novizin erhob sich und klopfte den Staub von ihrem dunklen Gewand. »Jetzt könnt Ihr den Zweig pflanzen, Mutter… oder möchtet Ihr, daß ich ihn in die Erde setze?«
    »Nein, ich will es selbst tun«, erwiderte Morgaine. Sie kniete nieder und drückte die weiche Erde fest um den Zweig. Als sie sich erhob, sagte das Mädchen: »Wenn Ihr es wünscht, Mutter, verspreche ich Euch, jeden Sonntag hierherzukommen und für Eure Verwandte zu beten.«
    Morgaine spürte, wie ihr aus einem unverständlichen Grund Tränen in die Augen traten. »Gebete sind immer etwas Gutes. Ich danke dir, meine Tochter.«
    »Und Ihr müßt in Eurem Kloster, wo immer es auch ist, auch für uns beten«, erklärte das Mädchen schlicht und half Morgaine beim Aufstehen.
    »So, Mutter, ich will Euch den Staub vom Gewand klopfen. Jetzt müßt Ihr mitkommen und unsere Kapelle sehen.« Im ersten Augenblick wollte Morgaine widersprechen. Als sie einst Artus' Hof verließ, hatte sie geschworen, nie wieder ein Gotteshaus zu betreten. Aber dieses Mädchen glich so sehr ihren eigenen Priesterinnen, daß sie den Namen nicht entweihen wollte, unter dem das Mädchen seinen Gott anbetete. Deshalb ließ sie sich in die Kirche führen.
    In der anderen Welt,
dachte sie,
muß die alte christliche Kirche genau hier an dieser Stelle stehen. Etwas von der Heiligkeit Avalons muß die Welten und den Nebel durchdringen…
    Morgaine beugte nicht das Knie und bekreuzigte sich auch nicht. Aber sie neigte den Kopf vor dem Hochaltar. Dann zog das Mädchen sie sanft mit sich fort.
    »Kommt«, erklärte es, »der Hochaltar ist Gott geweiht. Hier fürchte ich mich immer ein bißchen… aber Ihr habt
unsere
Kapelle noch nicht gesehen… die Kapelle der Schwestern… kommt, Mutter.«
    Morgaine folgte dem Mädchen in die kleine Seitenkapelle. Vor der Statue einer verschleierten Frau mit einem Heiligenschein und einem Kind in den Armen standen große Sträuße blühender Apfelzweige. Morgaine holte erschauernd tief Luft und beugte den Kopf vor der
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