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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde
Autoren: Gmeiner-Verlag
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die Gebackenen Erbsen zu. Sie schlug zwei Eier glatt ab, gab Mehl dazu und wiederholte das Ganze. Dann ließ sie den so entstandenen Teig mit der Gabel durch das Reibeisen ins heiße Schmalz laufen. Dort ließ sie die Teigerbsen schön rund und goldbraun werden. Zu dem fertig gekochten Kalbshirn gab sie Butter sowie Mehl in eine Kasserolle, röstete alles kurz ab und goss mit kochend heißer Suppe auf. Danach kamen fünf hart gekochte, zerdrückte Eidotter, weißer Pfeffer, Muskatnuss und Salz dazu. Dies alles wurde eine weitere halbe Stunde gekocht und danach passiert. Zum Passieren war die Mizzi von ihrem Botengang wieder zurückgekehrt. Da es inzwischen ziemlich spät geworden war und der Hofrat Schmerda nach einem anstrengenden Tag hungrig des Abendessens harrte, konnte die Köchin das Mädel nicht nach dem Empfänger des Rumpsteaks fragen. Obwohl ein Rumpsteak verzehrender Inspector ihre Neugierde beflügelte …

XII.
    Die Gräfin Hainisch-Hinterberg saß vor ihrer Psyche, zupfte an ihren Locken, fegte zum wiederholten Mal mit dem Puderpinsel über ihr perfekt gepudertes Gesicht, applizierte noch etwas Rouge auf ihre Wangen, zog sich die Lippen nach, sah auf die Wanduhr hinter ihrem Rücken, blickte zum Fenster hinaus auf die unendlich langsam am Himmel aufziehende Abenddämmerung und begann dann, von Neuem an ihren Löckchen zu zupfen. Die Zeit wollte nicht vergehen. Andererseits liebte sie die Spannung und das Gefühl, auf die Dunkelheit warten zu müssen. In deren Schutz sie dann mit Hut und Schleier aus dem Haus huschte, um auf verschlungenen Wegen durch Seitengassen und schummrige Durchhäuser die Innenstadt zu durchqueren. Sinn dieses Verhaltens war, möglichst keinem Menschen aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis über den Weg zu laufen. Dieses nächtliche Katz-und-Maus-Spiel gehörte für sie so unverzichtbar zu der Mesalliance, auf die sie sich eingelassen hatte, wie das spätere Rendezvous mit dem Planeten Stani auf dem Naschmarkt – in unmittelbarer Nähe von Nachtcafés und Hurenbeisln. Auch die immer wieder vorkommenden eindeutigen Avancen, die ihr bei den Gängen über den Naschmarkt von einsamen Herren gemacht wurden, verstärkten den Reiz dieser Ausflüge.
    Die Extravaganzen nach Einbruch der Dunkelheit forderten öfters ihren vollen körperlichen Einsatz, da sie immer wieder vor zudringlichen Kavalieren Reißaus nehmen musste. Es erschloss sich ihr ein Milieu, das fernab der Behütetheit ihres bisherigen Lebens existierte: voller Elend, Gefahren, Begierden und gewalttätigen Ausbrüchen. Besonders die Besuche im Stundenhotel in der Wiedner Hauptstraße, wo sie auf ihre Kosten mit dem Stani hinging, hatten es ihr angetan. Die fremdartige Atmosphäre entzündete bei der Gräfin eine Art von hochgradiger Erregtheit, die sich dann ekstatisch in dem staubigen, nach billigem Parfum riechenden Zimmer entlud.
    Während sie, auf die Dunkelheit wartend, vor ihrer Psyche saß, baute sich die Spannung immer stärker auf: ein Kribbeln, eine peinigende Unruhe, ein flaues Gefühl in der Magengrube, elektrisch knisternde Haare, eiskalte Hände, die sich anfühlten, als ob eine Armee von Ameisen darin spazieren ginge. Der permanente Drang, das WC aufsuchen zu müssen, nervös flatternde Wimpern, dumpfes Pochen in den Schläfen. Ja, es war fast wie eine Sucht; nicht Romantik, nicht Zuneigung und schon gar nicht Liebe. Es war einfach der Ausbruch aus dem goldenen Käfig. Hinaus in die gefährliche, dunkle Welt der einfachen Leute. Eine Exkursion in das Reich des Bizarren: Fäulnis und Gären. Abfälle, die von den Fratschlerinnen am Naschmarkt hinterlassen worden waren. Der Geruch von Urin in den Hauseinfahrten und dunklen Ecken des Marktes, dort, wo Tag und Nacht übervolle Blasen entleert wurden. Unterschiedlichste Aromen des Schweißes, die fast allen Menschen in dieser Gegend anhafteten. Schatten und Schemen der durch die Nacht streunenden Hunde und Katzen. Vom Wind getriebene Papierfetzen. In ihren Exkrementen liegende Trinker, deren Körper sich im Vollrausch konvulsivisch verrenkten. Bedrohliche Visagen – Männer wie Frauen von Suff, Schlägereien, mangelhafter Ernährung und nicht auskurierten Krankheiten gezeichnet. Zu all dem kam auch noch eine Sprache 30 , die ihr so fremd war wie das Ruthenisch 31 , das einst ihre Amme sprach.
     
    Mittlerweile war es dunkel geworden, und in den besseren Gegenden der Stadt verbreiteten die Gaslaternen ihr warmes Licht. Sie setzte einen eigens für diese Ausflüge
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