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Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe
Autoren: Frank Schmitter
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auf.«
    »Ich lege nicht auf. Wie kommst du darauf?«
    »Nichts. Ich hatte nur gerade den Eindruck. Willst du denn auflegen?«
    Sie holte tief Luft. Dann war ein Geräusch zu hören, als würde sie sich setzen oder zumindest ihre Position ändern, in der sie mit ihm sprach.
    »Bist du betrunken, Gerald? Ich will unseren Kontakt nicht beenden. Aber ich habe den Eindruck, dass du durch mich deine Probleme nicht wirklich lösen kannst. Ich glaube, wir beide können nicht aus unserem Leben springen, nur weil wir eine problematische Phase durchmachen.«
    »Ja. Ich weiß. Aber das alleine hat uns doch nicht zusammengebracht. Wir sind doch viel mehr als die Summe unserer jeweiligen Schwierigkeiten. Da ist viel mehr, was dahinterliegt. Ich spüre es. Nur bei dir finde ich die Ruhe, nach der ich mich immer gesehnt habe. Bei dir habe ich nicht das Gefühl, für Liebe kämpfen zu müssen. Oder etwas beweisen zu müssen. Bei dir spüre ich, dass es gut ist, so wie es ist. Ich liebe dich, Franziska.« Als er diesen Satz aussprach, vielmehr ihn hörte, als ob ein anderer ihn gesprochen hätte, fühlte er, dass es die Wahrheit war, aber er war nicht betrunken genug, um zu leugnen, dass die Wahrheit aus weit mehr bestand als aus diesem einen Satz.
    »Gerald, wir wollten allein schon wegen der Ermittlungen nicht miteinander sprechen. Das war eine feste Abmachung. Davon unabhängig, wissen wir im Grunde doch beide, dass wir eine Pause machen sollten. Es war nicht gut, dass wir uns so nahe gekommen sind. Nach Alexanders Tod … Ich war schrecklich deprimiert und allein. Du warst mir von Anfang an sehr sympathisch. In gewissem Sinne glaube ich, dass mich dein Unglück, deine Zerquältheit angezogen hat. So fühlte ich mich selbst weniger isoliert. Ich konnte mit niemandem reden, das war das Schlimmste. Arno hatte viel zu viel mit sich selbst und seinen Problemen zu tun. Alexander war nicht mehr da, der einzige Mensch, mit dem ich rückhaltlos über alles reden konnte, war aus meinem Leben gerissen worden. Er hätte sich niemals umgebracht, allein schon aus Verantwortung und Liebe mir gegenüber. Aber wem hätte ich das sagen können? Chateaux hat sich so seltsam verhalten, er hat Alexander aus unserem Kreis verbannt, als wäre er niemals bei uns gewesen.« Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr. »Wie weit seid ihr eigentlich? Gibt es Neuigkeiten? Auch über Arnos Tod?« Sie sprach die letzten Sätze sehr schnell, als wäre sie froh, nicht über sich selbst und ihn sprechen zu müssen. Und er hatte nicht mehr die Kraft, sich dagegenzustemmen.
    »Wir ermitteln und ermitteln. Es gibt Verdächtige, ja, aber es wird noch etwas dauern, bis wir ein vollständiges Bild haben. Gehst du eigentlich noch zu Chateaux?«
    »Er hat die Gruppentherapie für einen Monat ausgesetzt. Er hat Arnos Tod zum Anlass genommen, die Sommerpause für die Gruppe, die er eigentlich für August geplant hatte, vorzuziehen. »
    »Verstehe. Siehst du ihn dennoch, ich meine, redest du mit ihm über deine Operation?«
    »Ich glaube schon, dass ich mit ihm reden werde. So in ein, zwei Wochen, wenn sich die Aufregungen etwas gelegt haben werden. Aber weißt du was? Lutz hat bei mir angerufen und gefragt, ob wir, also die Therapiegruppe, uns in dem Monat nicht auf privater Ebene treffen können. Ausgerechnet Lutz! Das hat mich völlig überrascht. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass er seine aggressive Panzerung so langsam aufgeben will. Ich habe zugestimmt. Es wird traurig ohne Arno, aber das Alleinsein wäre für mich noch viel trauriger, denke ich. Lutz will die anderen anrufen. Morgen treffen wir uns bei mir. Wir haben überlegt, ob wir Chateaux überhaupt davon in Kenntnis setzen sollen. Lutz war dagegen, aber ich habe Chateaux angerufen, damit er das nicht als Vertrauensbruch auffasst. Er war nicht gerade begeistert und hat nur unter der Bedingung zugestimmt, dass alle mit dieser Regelung einverstanden sind und an den Treffen teilnehmen. Er will verhindern, dass sich etwas verändert, bis sich die Gruppe wieder in seiner Praxis versammelt. Chateaux kann eben auch ein ziemlicher Kontrollfreak sein.«
    Gerald schwieg. Er spürte, dass die Gruppe ihm zu fehlen begann. Er war ihr als verdeckter Ermittler beigetreten und hatte hier in der Gruppe paradoxerweise offener über sich selbst gesprochen als zu irgendeinem anderen Menschen in den letzten Jahren. Seine Identität dort war ein Fake, und gleichwohl hatte er viel über seine wahren Gefühle und
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