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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings
Autoren: Petra Oelker
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schließlich in seiner Kunst der Konditorei überflügelt, und er war stolz darauf gewesen. Es liege seiner Tochter eben im Blut, hatte er gern erzählt, besonders, wenn er bei einem Krug Bier im Bremer Schlüssel in der Neustädter Fuhlentwiete saß und jeder es hören konnte. Sollte ruhig jeder hören. Auf seine Tochter, sein einziges Kind, ließ er nichts kommen. «Auf meine Konfektprinzessin», hatte er dann vergnügt gerufen und seinen Krug gehoben. Der Molly könne keiner das Wasser reichen.
    Jakobsen, der Wirt, hatte nach Runges allseits betrauertem Tod vermutet, sollte er von jenem Ort, wohin die aufgestiegenen Seelen wandern, auf diese Stadt und seine Tochter hinuntersehen, wäre sein einziger Kummer, dass er von dort nicht in der Lage sei, für Molly einen tüchtigen jungen Konditor zu finden, mit dem sie glücklich werden konnte. Einer, der sie nie aus der Backstube drängen werde.
    «Aber vielleicht», hatte der bärige Wirt Jakobsen dann erklärt und seine sentimentale Seite gezeigt, «was wissen wir schon von dieser Gegend, wo die Seelen sind? Vielleicht kann Runge von da oben ja doch alles richten.» Man höre hin und wieder so was, und grad in diesem Fall wär’ es wunderbar.
    Niemand, der Molly nicht das Beste gewünscht hätte.
    Sicher war bisher leider nur, dass ihrem Vater noch kein Erfolg beschieden war, falls er aus unirdischer Ferne Einfluss zu nehmen versuchte. Ein halbwegs junger Konditor war aufgetaucht, allerdings nicht um die Tochter zu heiraten, sondern die Witwe. Und Molly, die doch jeder gernhatte, war mit ihren zweiundzwanzig Jahren schon auf dem Weg zur alten Jungfer.
    «Ich werde an ein Mittel für deine Augen denken, Mutter. Sicher weiß Meister Leubold eines, das wirklich hilft. Er ist ein guter Apotheker.»
    «Frag doch Momme», kam unvermutet Elwas Stimme aus der hinteren Ecke beim Feuer. «Der Momme weiß auch viel.»
    «Ja», Magda Hofmann nickte entschieden. «Elwa hat recht. Momme ist ein feiner Mensch, auch klug, und er hat viel gelernt. Frag ruhig Momme, warum nicht. Leubold wird dir nur das Teuerste verkaufen wollen.»
    Molly war überrascht. Dass ihre Mutter dem Apotheker misstraute und dessen Gesellen als feinen und klugen Menschen betrachtete, war neu.
    Plötzlich hatte sie ein Gefühl von Fremdheit. Es lag nur an ihr selbst, sie hatte in den letzten Wochen stets anderes im Kopf gehabt und zu wenig darauf geachtet, was sonst im Haus vorging. Selbst die geröteten Augen ihrer Mutter hatte sie erst bemerkt, als die sie erwähnte, die frühe Morgenstunde ließ auch die Küche noch im Dämmer liegen. Sie hatte bemerkt, dass ihre Mutter müde aussah, erschöpft, aber es stimmte, die Augen waren gerötet und geschwollen. Molly glaubte nicht, dass sie entzündet waren. Das Lachen von Mutter und Stiefvater, das sie im Treppenhaus gehört hatte, mochte ein Versöhnungslachen gewesen sein.
    «Du seufzt, Molly?» Hofmann wandte sich ihr aufmerksam zu. «Du hast doch nicht etwa Sorgen?»
    «Geseufzt?» Sie zuckte gleichmütig die Achseln. «Ich hab’s gar nicht bemerkt.»
    Sie nahm einen Schluck aus ihrem Becher – Meister und Geselle tranken wie stets ihr leichtes Morgenbier, für die anderen hatte Elwa nach Minze duftenden Kräutertee gekocht – und blickte wieder in die Runde.
    Außer der Magd, die unermüdlich rührend bei Feuer und Topf geblieben war, saßen fast alle am Küchentisch, die nun zum Haus gehörten: am Kopf Bruno Hofmann, Meister und Hausherr, an seiner Seite seine Ehefrau Magda, ihr gegenüber Ludwig, der Geselle, neben ihm Sven, der Lehrjunge, schließlich Molly selbst. Sie saß Hofmann gegenüber am anderen Ende des Tisches, eigentlich war das der Platz ihrer Mutter. Dort saß Molly nun bei allen Mahlzeiten, seit sie aus dem Herrmanns’schen Haus am Neuen Wandrahm zurückgekehrt war. Hofmann hatte es nachsichtig lächelnd zur Kenntnis genommen und seiner stets seine Nähe suchenden Frau über die Hand gestrichen. Auch Magda hatte gelächelt, als sie zu ihm aufsah. Dankbar, wie Molly gefunden hatte, ohne Stolz.
    Es fehlten nur noch Marius und Gerdi, die beide nicht im Haus wohnten. Marius war als ungelernter Gehilfe zuerst für die groben und schweren Arbeiten zuständig, auch für den Karren, mit dem die Mehlsäcke von der Mühle geholt wurden, Gewürze, Zucker, Trockenfrüchte, Mandeln, Nüsse und was man sonst an unterschiedlichsten Ingredienzien für die Feinbäckerei und Konditorei brauchte, vom Rosenwasser bis zur Pottasche. Vieles wurde direkt von
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