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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings
Autoren: Petra Oelker
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Dienstagmorgen und Konfitüre von den teuren Aprikosen!, stundenlang geköchelt und gerührt, viel feiner Zucker drin und für gutes Geld zu verkaufen. Das hatte es bei Meister Runge nicht gegeben. Der war ein solider Mann gewesen, gerecht, immer ehrlich und nie ein Verschwender.
    «Nimm nur ein bisschen Butter, Ludwig», sagte sie und schob ihm mit aufforderndem Blick den Teller hin. Er sah sie an, sein Blick wurde weicher, doch er schüttelte knapp den Kopf und löffelte weiter seine Buchweizengrütze. Sven hingegen, ein Junge mit noch kindlichen Augen, rosigen Wangen und stets etwas wirrem schwarzbraunem Haar, sah sehnsüchtig zuerst den Teller, dann Molly an, aber da griff schon die Meisterin nach dem Butterteller und schob ihn vor die Schale ihres Mannes.
    Auch Magda Hofmann hatte sich erst daran gewöhnen müssen, als etwas alltäglich wurde, das ihr erster Ehemann nicht gutgeheißen hätte. Es war ihr leichtgefallen, den neuen Usus zu mögen, wegen des Genusses, vor allem jedoch, weil sie Bruno Hofmann liebte. Ein bisschen zu sehr, fanden einige. Falls sie davon gehört hatte, hatte sie es ignoriert. Magda Hofmann, verwitwete Runge, war eine gefühlvolle, aber auch eine kluge Frau.
    Sie saß, wie immer bei Tisch, zur Rechten ihres Mannes. Sie neigte ein wenig zur Fülle, was ihr stets eine kleidsame weibliche Weichheit gegeben hatte. Nun war sie jenseits der vierzig, gleichwohl war die Meisterin Hofmann auf eine reife Art ungemein ansehnlich zu nennen. In der Stadt wurde geargwöhnt, sie gebe heimlich Unsummen für ein Elixier aus, das, wenn nicht ewige Jugend, so doch Schönheit bis zum Tod ermögliche, andere flüsterten etwas von Salben, Tinkturen, gar Bädern in Eselsmilch, was alles völliger Unsinn war.
    An diesem Morgen sah sie müde aus, wie oft in den letzten, so überaus arbeitsreichen Wochen. Aber ihr dichtes Haar, das oft bewundert wurde, auch weil es dem ihrer Tochter sehr glich, war zu einem akkuraten, kleidsamen Knoten geschlungen, Bluse und Brusttuch waren frisch, Magda Hofmann hatte schon immer auf Reinlichkeit und gute Ordnung gehalten, in ihrem Haus samt der Backstube wie bei sich selbst.
    «Geht es dir gut, Mutter?» Mollys Stimme klang besorgt, Magda Hofmanns Brauen hoben sich unwillig.
    «Natürlich geht es mir gut! Warum nicht.» Das war keine Frage gewesen.
    «Ich dachte nur …»
    «Ach, wegen meiner Augen.» Sie fuhr wegwerfend mit der Hand durch die Luft. «Die sind nur ein bisschen entzündet. Dieser hinterlistige Oktoberwind – man unterschätzt ihn jedes Jahr aufs Neue. Sei doch so lieb und frag den Apotheker, ob er etwas dagegen hat. Eine Salbe vielleicht, ein Heilwasser oder eine Essenz. Du gehst doch heute zu Leubold?»
    «Ja, die Morsellen sind fertig, jedenfalls die erste Schachtel. Er soll sie probieren und prüfen, ob sie ihm so recht sind. Wenn er sie zu aromatisch findet, kann ich die Gewürzmischung ändern.»
    «Ich finde sie besonders gut, Molly. Leubold wird froh sein, dass er so schlau war, seine Morsellen bei uns machen zu lassen.» Meisterin Hofmann tauchte endlich auch den Löffel in die Grütze. Heute Morgen hatte sie weder Hunger noch Appetit, eine leichte Übelkeit und ein unangenehmes Drücken in ihrem Leib machten sie matt. Sie würde es niemandem sagen. Gewiss nicht ihrer Tochter; wenn sie von ihr aber einige der Morsellen erbat, nur um als Meisterin den Geschmack zu prüfen, würden die vielleicht helfen.
    Gerrit Leubold, der Apotheker beim Opernhof, gehörte zu den wenigen in der Stadt, die ihre Morsellen nicht selbst herstellten. Die Kügelchen aus Zucker und allerlei dem Magen und anderen Organen, weniger den Zähnen, dafür umso mehr der Zunge und der Seele wohltuenden Leckereien, verkauften sich besonders im Winter bestens, waren aber aufwendig herzustellen. Molly kannte sich darin aus, Morsellen mochten der Gesundheit dienlich sein, für sie waren sie zuallererst eine besondere Art Konfekt. Natürlich hieß es in der Stadt, alles, was aus der ehemals Runge’schen, nun Hofmann’schen Konditorei komme, sei Ergebnis der Arbeit des Meisters und stets unter seiner Anleitung entstanden, dennoch wusste jeder, dass in der Backstube am Rödingsmarkt Molly die tatsächliche Meisterin vieler der dort gefertigten Köstlichkeiten war.
    So war es schon zu Lebzeiten ihres Vaters gewesen. Da er keinen Sohn hatte, an den er sein Handwerk weitergeben konnte, hatte er seiner Tochter alles beigebracht, was er konnte, sie alles gelehrt, was er wusste. Sie hatte ihn
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