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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin
Autoren: Kelley Armstrong
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ich die Furcht in seinen Augen und wusste, es wäre nie etwas geworden mit uns beiden. Ganz gleich, wie nahe ich einem Menschen kam, wenn er jemals die Wahrheit über mich herausfinden sollte, würde die Furcht da sein. Und darüber würden wir nicht hinwegkommen.
    »Hallo«, sagte er schließlich. Er zögerte; dann schloss er die Wohnungstür hinter sich und trocknete sich das Gesicht ab. Nachdem er sich so etwas Zeit verschafft hatte, legte er das Handtuch auf den Flurtisch und kam ins Zimmer. »Wann bist du zurückgekommen?«
    »Vorhin erst. Wie geht es dir?«
    »Gut. Ich hab deine Blumen bekommen. Danke.«
    Ich holte tief Luft. Herrgott, war das mühsam. War es immer so gewesen? Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, wie wir miteinander gesprochen hatten. Jede Vertrautheit zwischen uns war verflogen.
    »Deine – äh – Seite muss wieder in Ordnung sein«, sagte ich. »Wenn du joggen gehst.«
    »Gehen. Joggen noch nicht.«
    Er setzte sich in den Sessel gegenüber. Ich atmete ein weiteres Mal tief ein. Es funktionierte überhaupt nicht. Es gab keine schmerzlose Methode, das zur Sprache zu bringen, was ich sagen wollte.
    »Was du an dem Tag damals gesehen hast –«, begann ich.
    Er sagte nichts.
    »Das, was du … uh … gesehen hast, als ich –«
    »Ich habe gar nichts gesehen.« Seine Stimme war leise, fast unhörbar.
    »Ich weiß, dass du es gesehen hast, und wir müssen drüber reden.«
    Er fing meinen Blick auf. »Ich habe überhaupt nichts gesehen.«
    »Philip, ich weiß –«
    »Nein.« Er stieß das Wort heftig hervor, lehnte sich dann zurück und schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich an überhaupt nichts, Elena. Du bist arbeiten gegangen. Dein Cousin ist raufgekommen und hat nach dir gefragt. Zwei andere Männer sind aufgetaucht, die auch nach dir gesucht haben. Jemand ist mit dem Messer auf mich losgegangen. Danach ist alles leer.«
    Ich wusste, dass er log. Im Interesse der Sicherheit des Rudels sollte ich der Sache nachgehen, ihn dazu bringen zuzugeben, was er gesehen hatte, und irgendeine Erklärung finden. Aber etwas sagte mir, dass es so besser für Philip war. Mochte er es sich auf seine eigene Art erklären – das war ich ihm schuldig.
    »Ich sollte jetzt gehen.«
    Ich stand auf. Er sagte nichts. Ich sah, dass meine Taschen im Flur gestapelt waren, und daneben ein paar Kisten mit seinem eigenen Zeug.
    »Ich ziehe aus, wenn der Mietvertrag ausläuft«, sagte er. »Ich –« Er rieb sich den Nasenrücken. »Ich hätte dich angerufen, auf dem Handy. Ich habe … ich war noch dabei, den nötigen Mut zu sammeln.«
    »Es tut mir Leid.«
    »Ich weiß.« Er sah mir in die Augen, zum ersten Mal, seit ich gekommen war, und brachte den Schimmer eines Lächelns zustande. »Aber es war gut. Ein Fehler, aber ein guter Fehler. Wenn du irgendwann nach Toronto zurückkommst, kannst du dich vielleicht bei mir melden. Wir könnten etwas trinken gehen oder so.« Ich nickte. Als ich die Taschen hochhob, glitt mein Blick zum Flurtisch hinüber.
    »Er ist in der Schublade«, sagte Philip leise.
    Ich drehte mich um, um etwas zu sagen, aber er ging zum Schlafzimmer hinüber und wandte mir den Rücken zu. Er schloss die Tür.
    »Es tut mir Leid«, flüsterte ich.
    Ich stieß die Tür des Foyers auf und trat mit zwei kleinen Gepäckstücken auf die Straße hinaus. Ich hatte Philip einen Zettel hinterlassen, er solle alles andere einer karitativen Einrichtung geben oder in den Müll werfen. Nichts von dem, was dort lag, brauchte ich. Ich hatte die beiden Taschen nur genommen, damit er nicht glaubte, ich sei im Ärger auf und davon gegangen und hätte deshalb alles zurückgelassen. Es gab in dieser Wohnung nur einen Gegenstand, den ich wirklich haben wollte, den Gegenstand, den ich aus der Schublade des Flurtischs genommen hatte. Ich hatte ihn immer noch in der Hand. Als ich vor der Tür des Gebäudes stand, setzte ich das Gepäck ab und öffnete die Faust. Clays Ehering schimmerte im Licht der Straßenlaterne.
    Clay.
    Trotz allem, was wir durchgemacht hatten, konnte ich ihm nicht geben, was er wollte. Ich konnte ihm nicht mein Leben versprechen, konnte nicht schwören, ich würde im Wachen und im Schlafen jede Minute an seiner Seite sein, bis dass der Tod uns schied. Aber ich liebte ihn. Liebte ihn vollständig. Es würde keinen anderen Mann in meinem Leben geben, keinen anderen Liebhaber. Das konnte ich ihm versprechen. Was den Rest anging – ja nun, ich würde bieten müssen, was ich bieten konnte, und
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