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Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin
Autoren: Kelley Armstrong
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arbeitete Philip bis spät in den Abend. Und am Dienstag wartete ich gerade auf seinen Ich-komme-später-Anruf, als er nach Hause kam und das Abendessen mitbrachte.
    »Ich hoffe, du hast Hunger«, sagte er, während er eine Tüte aus dem Indienrestaurant auf dem Tisch absetzte.
    Ich hatte Hunger, obwohl ich auf dem Heimweg von der Arbeit schon zwei Würstchen an einer Bude erstanden hatte. Der vorabendliche Imbiss hatte den ersten Heißhunger gestillt, ein normales Abendessen würde jetzt reichen. Auch so einer von den Tausenden von Tricks, die ich gelernt hatte, um ein normales Leben führen zu können.
    Philip redete über seine Arbeit, während er die Pappschachteln aus der Tüte holte und den Tisch deckte. Ich schob entgegenkommenderweise meinen Papierkram zur Seite, damit er mein Gedeck arrangieren konnte. Ich kann manchmal wirklich hilfsbereit sein. Selbst als das Essen schon auf dem Teller war, widerstand ich der Versuchung noch lang genug, um die letzte Zeile meines Artikels hinkritzeln zu können. Danach schob ich den Block zur Seite und fiel über das Essen her.
    »Mom hat mich im Büro angerufen«, sagte Philip. »Sie hat gestern vergessen, dich zu fragen, ob du ihr helfen würdest, Beckys Junggesellinnenparty zu planen.«
    »Wirklich?«
    Ich hörte den entzückten Ton in meiner Stimme und wunderte mich darüber. Eine Junggesellinnenparty zu planen war eigentlich kein Grund zur Begeisterung. Andererseits hatte mich kein Mensch je gebeten, bei so etwas zu helfen. Herrgott, kein Mensch hatte mich je auch nur zu einer eingeladen – außer meiner Kollegin Sarah, und die hatte alle Kolleginnen eingeladen.
    Philip lächelte. »Das heißt wohl ja. Gut. Mom wird sich freuen. Sie mag solche Sachen, den ganzen Aufstand und die Planerei.«
    »Ich habe aber nicht viel Erfahrung mit so was.«
    »Kein Problem. Beckys Brautjungfern organisieren die richtige Junggesellinnenparty, das hier wird bloß eine kleine Familienfeier. Na ja, so klein vielleicht auch wieder nicht. Ich habe das Gefühl, Mom will jeden Verwandten in Ontario einladen. Dann kriegst du den ganzen Haufen zu sehen. Ich bin sicher, Mom hat ihnen alles und jedes über dich erzählt. Ich hoffe bloß, es wird dir nicht zu viel.«
    »Nein«, sagte ich. »Ich freue mich drauf.«
    »Sicher, jetzt hast du gut reden. Du kennst die ja noch nicht.«
    Nach dem Essen ging Philip hinunter in den Fitnessraum, um seine Hantelübungen zu machen. Wenn er zu normalen Bürozeiten arbeitete, zog er es vor, zum Trainieren früh aufzustehen und auch früh schlafen zu gehen; er gestand etwas kläglich, er werde zu alt, um mit fünf Stunden Schlaf auszukommen. Im ersten Monat unseres Zusammenlebens hatte ich mich ihm morgens angeschlossen. Es war gar nicht einfach, auf Dauer so zu tun, als hätte ich Schwierigkeiten, im Liegen hundert Pfund zu stemmen, wenn ich das Fünffache hätte schaffen können. Dann kam der Tag, an dem ich so in die Unterhaltung mit einer Wohnungsnachbarin vertieft war, dass ich nicht merkte, dass ich einen Sechzig-Pfund-Pull-down mit einer Hand absolvierte und dabei schwatzte, als zöge ich eine Jalousie herunter. Als ich sah, wie die Nachbarin auf meine Gewichte schielte, bemerkte ich den Fehler und redete irgendeinen Blödsinn über ein falsch eingestelltes Gerät. Danach verlegte ich meine Trainingsstunden auf die Zeit zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens, in der ich im Fitnessraum allein war. Philip hatte ich etwas von einem Energieschub erzählt, den ich um diese Zeit hatte. Er akzeptierte dies, so wie er bereitwillig alle möglichen anderen Marotten akzeptierte. Wenn er bis abends arbeitete, ging ich danach mit ihm hinunter und erledigte mein Schwimm- und Laufpensum wie damals am Anfang unserer Bekanntschaft. Sonst ging er allein.
    Als Philip an diesem Abend zum Hanteltraining verschwand, schaltete ich den Fernseher ein. Ich sah selten fern, aber wenn ich es tat, schwelgte ich im Bodensatz des Abendprogramms und zappte mich an Dokumentarsendungen und anspruchsvollen Filmen vorbei in die Sensationsreportagen und Talkshows. Warum? Weil sie mir die Gewissheit lieferten, dass es Leute auf der Welt gab, denen es schlechter ging als mir. Ganz gleich, was an meinem Tag alles schief gegangen war, ich konnte den Fernseher einschalten, zusehen, wie irgendein Vollidiot seiner Frau und dem Rest der Welt mitteilte, dass er mit ihrer Tochter schlief, und mir sagen: Na ja, wenigstens bin ich besser als das da. Müllfernsehen als Therapie. Bin inzwischen
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