Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht der Wölfin

Die Nacht der Wölfin

Titel: Die Nacht der Wölfin
Autoren: Kelley Armstrong
Vom Netzwerk:
doch noch mehr von diesen Cousins geben, oder?«
    »Und du glaubst, die haben ein Telefon auf ihrem Dachboden? Wenn sie elektrisches Licht haben, ist das schon viel.«
    »Ruf zurück, Elena«, sagte er und knurrte mich zum Spaß an, während er wieder im Bad verschwand.
    Sobald er aus dem Zimmer war, starrte ich das Telefon an. Philip hatte Scherze gemacht, aber ich wusste, er erwartete, dass ich Jeremy zurückrief. Warum sollte er auch nicht? Jeder halbwegs anständige Mensch würde es tun. Philip hatte die Nachricht gehört, hatte Jeremys drängenden Tonfall gehört. Wenn ich mich weigerte, einen offenbar wichtigen Anruf zu erwidern, würde ich oberflächlich und gefühllos wirken. Ein Mensch würde zurückrufen. Die Sorte Frau, die ich sein wollte, würde zurückrufen.
    Ich konnte natürlich so tun, als hätte ich angerufen. Die Versuchung war groß, aber es würde Jeremy nicht davon abhalten, wieder anzurufen … und wieder … und wieder. Es war nicht das erste Mal in den letzten Tagen, dass er versucht hatte, mit mir Kontakt aufzunehmen. Werwölfe verfügen zumindest untereinander über ein gewisses Maß an Telepathie. Die meisten von uns ignorieren das; wir ziehen weniger mystische Kommunikationsmethoden vor. Jeremy dagegen hatte die Fähigkeit zu einer schönen Kunst entwickelt, vor allem deshalb, weil sie ihm eine zusätzliche Möglichkeit gab, an uns heranzukommen und uns so lange zu plagen, bis wir taten, was er von uns wollte. Er hatte versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen; ich hatte ihn abgeblockt. Also hatte er auf das Telefon zurückgegriffen. Es war nicht ganz so wirkungsvoll wie ein fremdes Gehirn unter Dauerfeuer zu setzen, aber nach ein paar Tagen voller Tonbandnachrichten würde ich kapitulieren, und wenn es nur wäre, um endlich meine Ruhe zu haben.
    Ich stand neben dem Telefon, schloss die Augen und atmete tief ein. Ich konnte das schaffen. Ich konnte anrufen, herausfinden, was Jeremy von mir wollte, mich höflich dafür bedanken, dass er mich auf dem Laufenden hielt, und mich weigern zu tun, was er von mir verlangte – denn schließlich wusste ich ganz genau, dass er etwas von mir verlangen würde. Jeremy mochte der Leitwolf sein, und ich mochte konditioniert sein, ihm zu gehorchen – aber ich brauchte es nicht mehr zu tun. Ich gehörte nicht zum Rudel. Er hatte keine Kontrolle mehr über mich.
    Ich nahm den Hörer ab und gab die Nummer aus dem Gedächtnis ein. Es klingelte viermal, dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Eine Stimme vom Band begann zu sprechen – nicht Jeremys tiefe Stimme diesmal, sondern ein gedehntes Südstaatenorgan, das mich hastig auflegen ließ, bevor ich die Nachricht noch ganz gehört hatte. Schweiß trat mir auf die Stirn. Die Temperatur im Zimmer schien schlagartig um zehn Grad gestiegen zu sein, und die Luft hatte die Hälfte ihres Sauerstoffgehalts verloren. Ich fuhr mir mit den Händen über das Gesicht, schüttelte heftig den Kopf.
    Am nächsten Morgen vor dem Frühstück fragte Philip, was Jeremy gewollt hatte. Ich gab zu, dass ich ihn nicht hatte erreichen können, versprach aber, es weiter zu versuchen. Nach dem Essen ging Philip hinunter, um die Zeitung zu holen. Ich rief bei Jeremy an und bekam wieder nur den Anrufbeantworter.
    So ungern ich es auch zugab, ich begann mir Sorgen zu machen. Es war nicht wirklich meine Schuld. Mir Sorgen um meine früheren Brüder zu machen war eine instinktive Reaktion, etwas, das ich nicht kontrollieren konnte. Das jedenfalls erzählte ich mir selbst, als ich nach dem dritten erfolglosen Anruf mein Herz hämmern hörte.
    Jeremy hätte abnehmen sollen. Er entfernte sich kaum je weit von Stonehaven; er zog es vor, von seinem Herrschersitz aus zu regieren und seine Gefolgsleute zu schicken, wenn es eine schmutzige Arbeit zu erledigen gab. Okay, eine faire Beschreibung von Jeremys Führungsstil war das nicht, aber ich war wirklich nicht in der Stimmung für Nettigkeiten. Er hatte gesagt, ich sollte zurückrufen, und verdammt noch mal, er sollte da sein, wenn ich es tat.
    Als Philip zurückkam, hing ich beim Telefon herum und starrte es wütend an, als könnte ich Jeremy auf diese Weise dazu zwingen, abzunehmen.
    »Immer noch nichts?«, fragte Philip.
    Ich schüttelte den Kopf. Er studierte mein Gesicht aufmerksamer, als mir lieb war. Als ich mich abwandte, kam er zu mir herüber und legte mir die Hand auf die Schulter.
    »Du machst dir Sorgen.«
    »Eigentlich nicht. Es ist bloß –«
    »Das ist doch okay, Liebes.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher