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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale
Autoren: Will Berthold
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die zu ihnen in den Osten kamen. Wenn man nicht zu den Privilegierten gehörte, mußte man das Rentenalter erreichen, um aus dem Hoheitsgebiet des Stacheldrahts herauszukommen, weshalb die Bürger spotteten: ›Freu mich schon auf das Jahr 2009, da ist die DDR 60 und darf in den Westen.‹
    George nahm seine Golfschläger aus dem Bag und drapierte sie als Blickfang auf dem Rücksitz.
    »Was wird aus Lipskys Wagen?«
    »Meixner bringt ihn weg«, erwiderte er.
    »Was macht Meixner eigentlich nicht?«
    »Fehler«, erwiderte George. »Ich sagte dir ja schon, er ist unser bester Mann in Ostberlin.« Ein wenig sägte die Nervosität doch an seiner Hochnäsigkeit. Er überprüfte den Reifendruck und den Benzinstand.
    »Das ist dir doch klar, daß dich weder das State Department noch unser Verein decken werden, wenn du auffliegst.«
    »Dich doch auch nicht«, entgegnete George. »Du begleitest mich doch, Sportsfreund.«
    Punkt 14.17 Uhr hörte unsere Nerventortur auf. Eine schwarze SIM-Limousine bog auf das Grundstück ein und verschwand unverzüglich im Geräteschuppen.
    Lipsky stieg aus.
    »Alles in Ordnung!« rief mir Vanessa zu.
    Meixner bestieg den sowjetischen Straßenkreuzer und brachte ihn sofort weg, während Vanessa begann, sich in einen verschminkten weiblichen US-Leutnant zu verwandeln. Sie sah aus wie das letzte Hafenflittchen, das in einer langen Nacht noch keinen Freier gefunden hat.
    »Guten Tag, Herr Lipsky«, begrüßte ich den Fluchtaspiranten. »Sehr viel Komfort kann ich Ihnen leider nicht bieten, aber die Reise ist, wie gesagt, kurz und lohnend.«
    Ich zeigte ihm das vorbereitete Lager.
    »So ähnlich habe ich es mir auch vorgestellt«, erwiderte er.
    Ich hatte das Gefühl, daß er von allen der Gelassenste war.
    Ein Lieferwagen bog durch die Einfahrt.
    »Meixner«, beruhigte uns George sofort.
    Vanessa stieg zu. Zum Abschied war keine Zeit. Wenn alles glatt ginge, sähen wir uns in einer halben Stunde wieder.
    Oder nie mehr.
    Meixner brachte sie weg.
    Jetzt waren wir an der Reihe. Phimoses kletterte in seinem dunklen Anzug in das Versteck. Wir schlossen zunächst probehalber den Deckel und öffneten ihn wieder. »Geht's halbwegs?« fragte George.
    »Halbwegs«, bestätigte er.
    »Und Luft bekommen Sie auch genug?« fragte ich.
    »Na, ja«, erwiderte Lipsky. »Ein Luftkurort ist es gerade nicht.« Er gefiel mir immer besser. »Kaufen Sie doch bitte das nächstemal einen anständigen Wagen«, sächselte er.
    Wir verschlossen den Kofferraum.
    George Ashton setzte sich ans Steuer. Ich nahm neben ihm Platz. Ich hielt während der ganzen Fahrt unsere beiden Diplomatenpässe in der Hand. Als wir losrollten, um das Land hinter uns zu lassen, in dem sich die meisten Selbstmorde ereignen und es die höchste Scheidungsquote gibt – und die wenigsten Verbrechen, weil keine Kriminalstatistik geführt wird –, hatte ich das Gefühl, ich würde zum ersten Mal seit Vietnam wieder beten; ich glaube, es war mehr als ein Gefühl.
    Wir verließen das Materiallager ungesehen und ohne Zwischenfall. Die Sonne schien uns ins Gesicht, es umflatterten uns Fahnen. George fuhr langsam, konzentriert, beide Hände am Steuer, Blick auf der Straße; er mußte aufpassen, es gab Umleitungen. »Wenn wir weiter so gut durchkommen«, bemerkte er blasiert bis zum Exzess, »schaffe ich heute am Wannsee glatt noch achtzehn Holes.«
    Wir passierten den Spittelmarkt, rollten über die Leipziger Straße, bogen in die Friedrichstraße ein.
    Kurz vor dem Checkpoint Charlie war ein riesiges Transparent über die Straße gespannt:
    DIE DEUTSCH-SOWJETISCHE FREUNDSCHAFT IST DER HERZSCHLAG UNSERES LEBENS.
    Ich spürte ganz andere Pulschläge in diesem Moment. Plötzlich fürchtete ich, Phimoses könnte mit den Fäusten gegen den Deckel des Kofferraums schlagen und uns verraten.
    Wir fuhren im Schritttempo an den Grepos vorbei.
    Der russische Unterleutnant rechts musterte uns mit versteinertem Gesicht. Der Kapitän auf der Fahrerseite kannte George und winkte ihm zu, ein untersetzter Mann mit kurzgeschorenen Haaren, Sommersprossen im Gesicht und lustigen Augen. Hinter ihm standen Rotarmisten mit umgehängten Kalaschnikows.
    Der Sowjetoffizier beugte sich zu George herab:
    »Schon wieder Golf?« fragte er.
    »Sure«, antwortete George und verfiel dann in ein schlechtes Englisch, durchsetzt mit deutschen Worten, unterstützt durch viele Handbewegungen: »My Friend and Partner«, stellte er mich vor. »Mister Meiler.«
    Ich streckte dem Sowjetoffizier
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