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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale
Autoren: Will Berthold
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nichts – und Phimoses war doch kein so bedenkenloser Geschäftemacher, wie Dressler es gewesen war und vermutlich auch Konopka.
    Lipsky brauchte nicht vorsichtig zu sein, als er ging. Lupus hatte ihn ja heute zu KLABAUTERMANNS Führungsoffizier bestimmt. Er fuhr mit dem Lift nach unten. Wir standen am Fenster, sahen ihm nach, beobachteten, wie er auf die andere Straßenseite ging und zu einem Mann etwas sagte, der offensichtlich zu Cynthias Bewachern gehörte.
    »Traust du ihm?« fragte ich sie.
    »Hab' ich eine andere Wahl?« entgegnete sie.
    »Nein«, bestätigte ich. »Wir haben keine andere Wahl.«
    Aber wir hatten uns.
    Eine ganze Nacht lang.
    Danach vielleicht nie mehr.
    Oder für immer.

20
    Wie an jedem anderen Tag stand Ludwig Lipsky heute wieder als erster auf, ging ins Bad, danach in die Küche und schaltete das Radio ein, wiewohl er entschlossen war, sich auf keinerlei Debatten mit seiner Familie mehr einzulassen. Er hörte seine zänkische Frau in der Wohnung herumgeistern, etwas früher als sonst, und der Grund stach ihm auch gleich in die Nase: Die Proleten-Prinzessin hatte für das Festbankett mit den kubanischen Genossen das penetrant nach Mottenpulver riechende Abendkleid, ein scheußlich geblümtes verschossenes Ding, aus dem Schrank genommen und in der Küche aufgehängt.
    »Komm heute Abend nicht wieder im letzten Moment, Ludwig«, würdigte sie ihn immerhin einer Anrede. »Ich habe mich am Rande des Empfangs für ein paar wichtige Besprechungen mit den DFD-Genossinnen verabredet.« Es handelt sich um Funktionärinnen des ›Demokratischen Frauenbundes Deutschland‹.
    Phimoses war kein großer Stilist, aber die Politkürzel, dieses elende Kopfwehdeutsch, kotzte ihn schon längst an, wiewohl es ihm selbst schon über die Lippen ging wie einem Salbader das angepriesene Wundermittel.
    Der Stasi-Mann hatte es eilig wegzukommen.
    »Trinkst du deinen Kaffee nicht aus?« fragte Hedwig: »Immer läßt du ihn stehen.«
    »Diese Plürre kannst du selber saufen«, erwiderte er grob und freute sich über sich selbst.
    Wenn alles nach seiner Vorstellung verliefe, wären das die Abschiedsworte an seine Frau.
    Heute müßte er Gelbrich abholen – sie wechselten einander mit dem Wagen immer ab –, aber der Polit-Kumpel hatte Konopka zwischen den Fingern und war hinreichend damit beschäftigt, ihn zu zerreiben. Phimoses lenkte die sowjetische Nobelkutsche zielstrebig nach Lichtenberg. Es fiel nicht auf, daß er sie selbst chauffierte; gelegentlich am Steuer seines Wagens zu sitzen, betrachtete er als Erholung.
    Seinen Mitarbeitern fiel auf, daß er ein bißchen besser gelaunt war als sonst am Morgen. Er überflog die ersten Meldungen und machte eine Zusammenstellung für den General. Er hatte Lupus gestern bereits wissen lassen, daß Dr. Cynthia Pahl um eine Nacht Bedenkzeit gebeten hätte. Jetzt teilte er dem General nach der Morgenbegrüßung mit, daß die Legationsrätin bereit sei, sich dem Parteiwunsch zu fügen.
    »Ist es ihr schwer gefallen?« fragte der Untergrund-Stratege.
    »Ja, schon ein wenig«, bestätigte Lipsky. »Aber sie hat sehr viel Disziplin.«
    »Sie kümmern sich doch weiterhin um sie?«
    »Das wollte ich gerade mit Ihnen besprechen, Genosse Lupus«, entgegnete Lipsky. »Sie wird heute Mittag als offizielle Vertreterin der westdeutschen Regierung auf dem Flughafen bei der Ankunft der kubanischen Delegation anwesend sein …«
    »Um so besser«, sagte der General lächelnd.
    »Im Anschluss daran möchte ich sie zum Essen einladen und von da aus direkt mit ihr zur Pressekonferenz in den Palast der Republik kommen.«
    »Genauso habe ich es mir vorgestellt«, lobte der General. »Lassen Sie KLAUBAUTERMANN noch überwachen?«
    »Ja, natürlich«, bestätigte Lipsky.
    »Ordern Sie Gelbrichs Leute zurück«, sagte Lupus. »Es muß völlig klar sein, daß es ihr freier Entschluß ist, in das Friedenslager überzutreten.«
    »Jawohl, Genosse General«, antwortete Lipsky, und das war seiner Meinung nach bereits der zweite Abschied für immer; er fiel ihm weit schwerer als der Abgang bei seiner Familie.
    Er arbeitete den Vormittag durch, ohne Pause, wie immer. Die Sekretärin mußte ihn daran erinnern, daß es jetzt höchste Zeit sei, nach Schönefeld zu fahren.
    Lipsky rollte ohne Eile los, den schönen Tag genießend. Es herrschte Kaiserwetter, und er lächelte vor sich hin, weil das doch eine etwas seltsame Bezeichnung war für einen scheidenden Berufskommunisten. Aber die Suppe, mit der
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