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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale
Autoren: Will Berthold
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Dingen einen besseren, als Sie vermutlich annehmen«, erwiderte Cynthia. »Ich mag die Menschen, ihren Lebensmut, ihre Tüchtigkeit und ihren Humor, mit den Engpässen fertig zu werden. Solange sie nicht dieses Partei-Chinesisch reden und die Beine mit den Knobelbechern hochwerfen, sind sie mir sympathischer als manche Landsleute auf der anderen Seite.«
    Phimoses betrachtete sie verwundert, mit einer Spur Misstrauen.
    »Ich will Ihnen mal was sagen, Herr Lipsky: Ich finde westliche Arroganz zumindest genauso dumm wie östliche Ignoranz. Aber der Westen ist nicht nur arrogant und der Osten nicht nur ignorant.«
    Inzwischen rätselten die Journalisten, was die überraschend für 16.00 Uhr angesetzte Pressekonferenz bringen würde. Einige meinten, die Zwangsumtauschsätze für Einreisende aus Westdeutschland würden nun doch noch ermäßigt, andere tippten darauf, daß Erich Honecker, Vorsitzender des Staatsrats, seinen Besuch in der BRD von sich aus absagen wollte.
    Die Gäste im Restaurant des Palast-Hotels suchten mit den Augen immer wieder das ungleiche Paar in der Nische. Auch in der Hannoverschen Straße wußte man schon Bescheid. Martin Keil war außer sich. Völlig unverständlich hatte der Quasi-Botschafter am Morgen die Mitteilung erhalten, daß der Legationsrätin Dr. Cynthia Pahl der von ihr gewünschte unbezahlte Urlaub auf unbestimmte Zeit zu gewähren sei. Jetzt fürchtete er, daß mit seiner bevorzugten Mitarbeiterin etwas faul sein könnte. Nicht auszudenken, welche Blamage Martin Keil drohte, da er ihr ja immer seine besondere Gunst gezeigt hatte.
    Um 14.00 Uhr wurden Phimoses und Cynthia zum letztenmal gesehen.
    Kurze Zeit später waren sie wie vom Erdboden verschluckt.
    Noch fiel es nicht auf – aber bald würde die Vermißtenmeldung in Ostberlin eine Hexenjagd auslösen.

21
    Über Nacht hatte sich Ostberlin in ein Flaggenmeer verwandelt. Auf Straßen, Plätzen, öffentlichen Gebäuden und aus den Fenstern von Privathäusern wehten Fahnen mit Hammer und Zirkel im Ährenkranz. Überall blähte sich textiles Selbstbewußtsein, vermengte sich mit den Farben von Fidel Castros bitterer Zuckerinsel. Die Ankunft der kubanischen Genossen nahm heute die DDR-Staatsschützer völlig in Anspruch, und das bewertete ich als durchaus angebracht, denn sie schuldeten uns für die Schlappe in der Schweinebucht noch eine Revanche.
    Ich ging zu Fuß zum Ostbahnhof, betrachtete mir den VEB Beton und Stahl erst einmal von außen, ein riesiges Areal mit geflickten Ruinen und neu erbauten Lagerhallen. Beide Einfahrten standen offen, doch auf dem Firmengelände herrschte Friedhofsruhe. Die nächsten Wohnblöcke waren weit entfernt. Wer das Materiallager von außen beobachten wollte, mußte sofort auffallen.
    Ich ging durch die offene Tür und lief auf das Hauptgebäude zu. Ich sah durch das Fenster und starrte in Meixners Gesicht. Er sah genauso aus, wie ihm George beschrieben hatte, wie Quasimodo, der Glöckner von Notre-Dame. Ich betrat den Raum, und er gab mir die Hand. Am Revers trug er das SED-Parteiabzeichen, darunter eine mir unbekannte Medaille.
    »Was ist denn das?« fragte ich ihn.
    »'n Orden«, erwiderte er grinsend, »angelegt zur Ehre der kubanischen Brüder.« Er lächelte mit seiner Zahnlücke.
    »Wenig Betrieb bei Ihnen, Meixner«, sagte ich.
    »Geht schon«, erwiderte er. »Das Material für heute wurde in aller Frühe ausgegeben.«
    »Und wenn die jetzt nachfassen müssen?«
    »Nachfassen gibt's bei uns nicht«, versetzte er. »Bei uns läuft alles nach Plansoll – wenn es läuft.«
    »Dann können Sie ja nach Hause gehen.«
    »Könnte ich«, erwiderte Meixner und schob sich die Mütze nach hinten. »Aber ich bleibe lieber hier.« Er fletschte wieder die Zähne. »Ihnen zuliebe.«
    Er sagte nichts mehr und beobachtete weiter die Straße. Meixner war einer der hässlichsten Männer, denen ich je begegnete, zugleich aber auch einer der brauchbarsten. »Er kommt«, sagte er nach einer Weile.
    Ein offenes Mercedes-Cabriolet rollte durch die Einfahrt und verschwand sofort in der weiträumigen Lagerhalle.
    »Gehen Sie zu ihm«, sagte der Bucklige, »ich paß hier schon auf.«
    George Ashton stand vor seinem Luxusschlitten, betrachtete ihn von allen Seiten, als wollte er sich überzeugen, daß er auch ordentlich gewaschen worden sei. Er trug einen besonders grellen Sportdress, sah aus wie ein Wikinger, der Gigolo vom Dienst eines feudalen Golf- und Country-Clubs.
    »Nervös, Kumpel?« fragte er
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