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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale
Autoren: Will Berthold
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Warenkredit, ›Swing‹ genannt.
    Auf der Tagesordnung der Geheimbesprechung stand nur ein Punkt: die Klärung plötzlicher Einbrüche, die Pullach in einige Außenstellen der ostdeutschen Spionage-Fabrik gelungen war. Schlagartig und unerwartet. Referent war Ludwig Lipsky von HVA I (Politspionage in Westdeutschland), der, gestützt auf außergewöhnliche Vollmachten, im Auftrag des Generals drei peinliche Pannen untersucht hatte. Der Referent war bei der Aufklärung der denkbar geeignetste Mann, weil er zugleich in Personalunion die Abteilung X (Dokumentation) leitete.
    »Ich glaube, ich kann euch eine Wiederholung dieser unerfreulichen Vorgänge ersparen, Genossen«, begann er. »Ihr wißt, daß in Sindelfingen bei Stuttgart drei unserer besten, für einen Elektro-Konzern arbeitenden Männer aufgeflogen sind und fast gleichzeitig in Bonn eine unserer erfolgreichsten Quellen, eine Sekretärin im Auswärtigen Ausschuß, entlarvt wurde. Kurz danach ist bei einem Flugzeugkonzern in München einer unserer Perspektiv-Agenten überraschend hochgegangen.«
    Ludwig Lipsky, der Berichterstatter, stammte aus Leipzig. Er versuchte fast gewaltsam, seinen heimatlichen Dialekt zu verbergen, die Konsonanten härter und die Vokale weniger breit auszusprechen; es mißlang gründlich, und so sächselte ›Phimoses‹ – wie man ihn hinter seinem Rücken nannte – erst recht drauflos. Im Dienst war er wie eine Maschine; privat hatte Lipsky Hemmungen, da er an einer Vorhautverengung litt, die von Fall zu Fall operativ behandelt werden mußte. Um die Eingriffe hinauszuschieben, wurde der Spezialist der unsichtbaren Front medikamentös behandelt, und zwar mit einer roten Salbe, deren Penetranz mit der Zeit jedes Textilgewebe durchdrang: es hatte dem Leipziger den verhaßten Spitznamen eingebracht.
    Man brauchte, so man ihn aus der Fassung bringen wollte, nur auf den roten Punkt an einer pikanten Stelle zu starren; andererseits brachte ihn die bemühte Art, in der seine Kampfgefährten daran vorbeisahen, auch wieder durcheinander. Phimoses flüchtete wegen seiner persönlichen Unbill so ausschließlich in die Dienstgeschäfte, daß er nur noch die BRD-Spionage kannte – und die rote Salbe! »Das Ziel meiner Untersuchungen, zu der mir alle Möglichkeiten zur Verfügung standen, war, die Fehlerklärung, ob es zwischen ihnen einen Zusammenhang gibt. Ich habe«, zählte der Berichterstatter umständlich auf, »insgesamt siebzehn Zeugen vernommen und mit Hilfe unserer Abteilung Neun und Zehn Meldungseingänge und Befehlsausgänge überprüft.« Er warf einen Blick auf General Lupus und dann auf die Männer am runden Tisch. Er stellte mechanisch fest, daß Brosam, der hektische Nichtraucher, wild an seiner Zigarettenattrappe zog und Lungenzüge imitierte. »Ich konnte keinerlei Unregelmäßigkeiten feststellen. Die Nachrichtenübermittlung ging nach dem gleichen System vor sich, das sich in unzähligen anderen Fällen bewährt hat. Es ist auch seit diesen – sagen wir mal – diesen Unglücksfällen nicht geändert worden und funktioniert reibungslos. In allen drei Fällen waren verschiedene Führungsoffiziere im Einsatz, sie hatten untereinander keinen Kontakt, kannten sich nicht einmal. Auch die Betroffenen wußten nichts voneinander. Im Fall Sindelfingen ist einer unserer Leute durch seinen Übereifer dem Werkschutz aufgefallen. In Bonn dürfte ein Kurier beobachtet worden sein, als er einen toten Briefkasten leerte. Von ihm aus verfolgte der Verfassungsschutz dann die Spur zum Büro, in dem unsere Kundschafterin arbeitete; sie wurde von uns gewarnt und konnte sich im letzten Moment in die DDR absetzen.« Lipsky sprach, als hätte er die Pfeife zwischen den Lippen, deren steter Gebrauch ihm einen schiefen Mund eingebracht hatte. »In München scheint einer der Beteiligten im Suff geschwatzt zu haben, und das ausgerechnet gegenüber einem BND-Mann.«
    Brosam fummelte an seiner mustergültig sitzenden Krawatte herum. Lemmers vom Zentralkomitee schien ausschließlich darauf bedacht zu sein, keine Regung auf seinem Gesicht erkennen zu lassen. Konopka, der vielbeschäftigte, kämpfte gegen seine Schläfrigkeit, und Laqueur blieb auch noch beim Zuhören ein Gentleman, der Aufmerksamkeit zeigte, ob es ihn nun anödete oder nicht.
    »Selbstverständlich haben wir die Vorkommnisse auch vom Computer analysieren lassen«, fuhr Lipsky fort. »Die elektronische Datenauswertung hat nur bestätigt, daß jeder der Fälle anders gelagert ist und
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