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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale
Autoren: Will Berthold
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schließlich auch kein Faust).
    Bei Frauen bin ich eher Skeptiker. Die Sicherheitsbestimmungen machen CIA-Angehörige und ihre Familienmitglieder zu einem geschlossenen Verein. Hier bedurfte es keiner elektronischen Recherche, in dieser Art Ghetto kannte man jedes Gesicht. Flirt, Verlobung, Ehebruch, Scheidung, Wiederverheiratung spielten sich im gleichen Kreis ab. In dieser Plantage der Monotonie wußte man alles voneinander, kannte sich letztlich selbst im Intimbereich wie nach einer Gruppensexparty.
    Selbstverständlich sind die Menschen in Quarantäne nicht leichtfertiger oder unmoralischer als alle anderen, nur die Langeweile ist größer. Viele bleiben trotzdem resistent und führen selbst noch in der Isolation ein normales, bürgerliches Leben. Bei anderen freilich kommt es in puncto Freizeitgestaltung zu einer Art unzüchtigem Inzest, was sicher dazu beitrug, daß ich noch immer Junggeselle bin.
    Gregory hatte sein Telefonat beendet, er sah einen Moment lang ins Leere und legte dann auf. »Sorry, Lefty«, entschuldigte er sich, »aber wir sind bereits wieder einen Schritt weiter: Ein neuerlicher Hinweis aus Ostberlin. Die gleiche Quelle. Wiederum stichhaltig. Freilich kann es auch raffiniertes Spielmaterial sein – trotzdem sehe ich erstmals seit langem eine Chance, den DDR-Staatssicherheitsdienst auszunehmen wie einen Thanksgiving-Truthahn.« Die Falten in seinem Gesicht probten ein seltsames Fixierspiel; es sollte wohl ein Lächeln sein. »Natürlich ist es noch zu früh, um über eine Stasi-Schlappe zu jubilieren, aber wenn die Affäre hält, was sie verspricht, ist der Fall Guillaume ein vergleichsweise kleiner Fisch.«
    Es waren erst Mutmaßungen, aber der Vice war ein ausgekochter Profi mit seiner somnambulen Witterung für Zusammenhänge.
    »Wenn ich Sie recht verstehe, Sir«, erwiderte ich, »befindet sich No Name Case im Anfangsstadium?«
    »Unsere Chance, Lefty«, entgegnete Gregory. »Da ist wenigstens noch nichts verpfuscht worden. Lesen Sie die Unterlagen, durchdenken Sie die Fakten und teilen Sie mir so rasch wie möglich Ihre Bewertung mit.« Gregory erhob sich. »Ich hoffe, der Appetit kommt mit dem Lesen«, setzte er hinzu und geleitete mich sogar in den Nebenraum, der nur von seinem Office aus zu erreichen war.
    Ich sah schon beim ersten Blick in die Akten, was auf mich zukam.
    Mit einer Art Trotz setzte ich noch immer auf den Rückflug nach Bali, wiewohl ich wußte, daß man mit geplatzten Hoffnungen die Wände des riesigen CIA-Komplexes tapezieren könnte.
    Einen Moment kämpfte ich gegen den Impuls, Vanessa im Hyatt anzurufen. Aber Bali, der ›Morgen der Welt‹, war der US-Ortszeit weit über einen halben Tag voraus, und drei Stunden nach Mitternacht wollte ich meine Feriengefährtin nicht aus dem Schlaf reißen – eine Rücksicht, die ich Stunden später bereuen sollte.
    Nur mühselig gelang es mir, mich von Fernost loszureißen und auf Ostberlin zu konzentrieren, auf die Geheimbesprechung des Untergrund-Generals Lupus in der Spionagefabrik an der Normannenstraße; sie hatte vor zehn Tagen stattgefunden, und der große Gregory verfügte über unbestätigte Teilunterlagen.
    Ich hätte gerne gewußt, wie zutreffend sie waren, wieweit man sie als vollständig betrachten konnte und woher wir sie bekommen hatten. Aber solcherlei Fragen werden weder gestellt noch beantwortet.
    In der Normannenstraße war ich seit Jahren gewissermaßen zu Hause, trotzdem blieb für mich die Stasi-Festung ein Labyrinth mit vielen Fallen und Stolperdrähten. Wir kannten unsere Gegenspieler, aber vieles, was wir über sie wußten, war eher unsicher als bewiesen, und von der Differenz zwischen Annahme und Tatsache leben alle Nachrichtendienste der Welt.

2
    Gegen Mittag riß der Wind den niedrigen Himmel über Berlin auf. Aus der Wolkenwand rieselte das Licht wie Sägemehl aus einer überfahrenen Stoffpuppe. Die Iljuschin aus Moskau landete pünktlich auf die Minute und spuckte ihre Passagiere aus. Einige trugen trotz des Frühlings warme Pelzmützen, aber der Lenz stand an diesem Tag nur auf dem Kalenderpapier. Eine angeheiterte Betriebsgruppe des VEB Leuna schwenkte lärmend Papierfähnchen mit Hammer und Sichel. Der Wodka sorgte für sozialistische Fröhlichkeit.
    Aus dem Rudel, das von einer Bodenstewardeß zu dem Omnibus neben der Landetreppe geleitet wurde, scherte ein schlanker Zivilist aus, ein Mann Ende fünfzig, der wesentlich jünger aussah; er ging an den stramm grüßenden Vopos vorbei und auf
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