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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale
Autoren: Will Berthold
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sicher auch freiwillig zur Auswanderung gemeldet, wenn auf seiner Weste nicht einige braune Flecken gewesen wären – das V-Waffen-Team hatte schließlich geschlossen der Hitler-Partei angehört.
    Den USA waren die Raketenforscher des Dritten Reiches genauso willkommen wie der Sowjetunion, die sich jene Wissenschaftler schnappte, die die Amerikaner nicht rechtzeitig genug aufgestöbert hatten. Die 11.015 V-Waffen-Einschläge in der englischen Hauptstadt waren vergessen und begraben. Jetzt ging es um Raketenziele in der Sowjetunion oder in den Vereinigten Staaten, je nachdem, von welcher Abschußrampe aus man es betrachtete. Und die neuen Nuklearraketen trugen Mehrfachsprengköpfe und würden – so man sie losließe – den 65.000 England-Toten der ›konventionellen‹ Kriegführung ein paar massenmörderische Nullen hinzufügen, und zwar auf beiden Seiten.
    Die Übersiedlung in die Staaten war meine erste Begegnung mit der Machtpolitik gewesen, aber damals war ich noch zu jung, um den ihr innewohnenden Zynismus zu erfassen.
    Später begriff ich, daß es eine weit schlimmere Zweckpolitik gibt, als Washington sie sich leistete, in diesem wie auch in anderen Fällen.
    Ich wuchs in Cap Canaveral in Florida zweisprachig auf, ein als geborener Deutscher in die Neue Welt hineinwachsender Yankee: Baseball stand mir näher als Fußball, ich betrieb wie alle Halbwüchsigen Amerikas Petting als Lieblingssport, Hamburgers zog ich einem Schweinebraten mit der typischen deutschen Beilage vor, deretwegen mich meine Mitschüler als ›Kraut‹ hänselten. Aber ähnlich erging es wohl einem berühmten US-Außenminister, der aus Fürth in Bayern stammte.
    Als US-Präsident Kennedy in das Vietnam-Debakel hineinschlitterte, war ich Absolvent der Rechtswissenschaft an der Harvard University gewesen, und als seine Nachfolger den Dschungelkrieg zur Katastrophe ausufern ließen, holte man mich als Soldat und später Offizier auf die Reisfelder Südostasiens. Als Pilot eines Kampfhubschraubers wurde ich abgeschossen und hatte eine kurze, aber brutale Zeit in der Gefangenschaft der Vietkong zu überstehen, bevor ich zusammen mit ein paar Dutzend anderen Amerikanern durch ein Kommandounternehmen aus der Bambushölle herausgeholt wurde, krank, halbverhungert, angeekelt von der Zeit mit ihrer kriminellen Politik.
    Die Gehirnwäsche der Roten hatte ich heil überstanden, und selbst der meiner Befreier konnte ich mich verhältnismäßig lange widersetzen. Ich teilte die typische Aversion des Amerikaners gegen Argwohn, Arglist und Lüge. Die Dreckarbeit an der unsichtbaren Front hatte mich schon angewidert, bevor ich sie kannte. Gewiß, die Intelligence-Branche muß sein, wie die Müllabfuhr oder die Arbeit einer Abdeckerei – aber dafür würde ich mich ja auch nicht freiwillig melden. Es gibt eben Berufe, die nötig, aber unbeliebt sind, und ich wollte so wenig Akteur des Untergrunds werden wie Leichenwäscher, Gerichtsvollzieher, Toilettenmann, Steuerfahnder oder Lohnschlächter. Alles notwendige und sicher achtbare Beschäftigungen, aber ich war für die freie Berufswahl.
    Da kramten die CIA-Werber Trick 17 aus der Mottenkiste und überzeugten mich, daß die ganze Vietnam-Katastrophe vermeidbar gewesen wäre, wenn die US-Regierung nicht auf eine Fehleinschätzung ihres von zweitrangigen Leuten betriebenen Geheimdienstes hätte hereinfallen müssen. Was die Viets nicht geschafft hatten, gelang nach ein paar Monaten den Männern der Central Intelligence Agency: Ich quittierte schließlich die Direktive NSC 10/2, die auf den einen Satz hinauslief:
    »Sie tun es, und deshalb müssen wir es auch tun.«
    Ich bin immer in kritischer Distanz zu meiner Tätigkeit geblieben, und ich weiß, daß sie einen miserablen Ruf hat. Ich habe auch nicht die Absicht, als ihr Pflichtverteidiger aufzutreten. Trotzdem komme ich um die ketzerische Feststellung nicht herum, es sei in erster Linie der Spionage zu verdanken, daß trotz ständiger Explosionen rund um den Globus der dritte Weltkrieg noch nicht ausgebrochen ist. Westen wie Osten stützen sich ausschließlich auf das ausgekundschaftete Wissen um die Stärke des Gegners.
    Es ist traurig, daß nicht Einsicht, Menschlichkeit, Erfahrung, Gesittung, Religion oder Moral eine dritte und letzte Katastrophe in diesem Jahrhundert verhindert haben – wenigstens bislang –, sondern die Angst – oder besser: das atomare Patt. Trotz SS-II-Raketen, Marschflugkörper, Neutronenbombe, chemischer und biologischer
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