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Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs

Titel: Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
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ultimative Beweis für die Überlegenheit des chinesischen Erziehungsstils sei das langfristige Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern. Obwohl brutale Anforderungen an sie gestellt, obwohl sie beschimpft und ihre Wünsche missachtet werden, beten chinesische Kinder ihre Eltern an, respektieren sie, sind bereit, sie im Alter zu sich zu nehmen. Von Anfang an hatte Jed mich immer wieder gefragt: «Und dein Vater, Amy?» Darauf hatte ich nie eine gute Antwort.
    Mein Vater war in seiner Familie das schwarze Schaf. Er stand bei seiner Mutter in Ungnade und wurde entsprechend ungerecht behandelt. Bei ihm zu Hause waren Vergleiche zwischen den Kindern an der Tagesordnung, und mein Vater – das vierte von sechs Kindern – zog dabei immer den Kürzeren. Er interessierte sich nicht fürs Geschäft wie die anderen: Er liebte die Naturwissenschaft und das Erfinden;mit acht Jahren baute er aus eigener Kraft, ohne vorgefertigte Teile, einen Radioapparat. Seine Mutter aber hatte, um es freundlich auszudrücken, weder Respekt vor seinem Willen, noch schätzte sie seine Individualität, noch machte sie sich Gedanken um seine Selbstachtung und diese ganzen westlichen Klischees. Was dazu führte, dass mein Vater seine Familie hasste, die er erdrückend und destruktiv fand, und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit so weit fortzog wie nur möglich und nie mehr zurückblickte.
    Die Geschichte meines Vaters veranschaulicht einen Aspekt, den ich immer gern verdrängt habe. Wenn die chinesische Erziehung gelingt, ist sie unübertroffen. Aber sie gelingt nicht immer. Bei meinem Vater ist sie gescheitert. Er wechselte kaum noch ein Wort mit seiner Mutter, und wenn er je über sie sprach, dann nur mit Wut und Groll. Am Ende ihres Lebens war für meinen Vater seine Herkunftsfamilie praktisch gestorben.
    Ich wollte Lulu nicht verlieren. Deshalb tat ich das Westlichste, das ich mir vorstellen kann: Ich ließ ihr die Wahl. Sie könne mit der Geige aufhören, sagte ich, und selber entscheiden, was sie tun wolle – zu dem Zeitpunkt war das Tennis spielen.
    Lulu hielt es zunächst für eine Falle. Im Lauf der Jahre hatten wir beide uns derart häufig bis aufs Messer duelliert, hatten derart ausgefeilte Formen von psychologischer Kriegsführung angewandt, dass sie natürlich argwöhnisch war. Aber nachdem sie sich von meiner Aufrichtigkeit überzeugt hatte, überraschte sie mich.
    «Ich möchte gar nicht ganz aufhören», sagte sie. «Ich liebe meine Geige. Ich würde sie nie aufgeben.»
    «Ach bitte», sagte ich kopfschüttelnd. «Lass uns nicht wieder im Kreis marschieren.»
    «Wirklich, ich will nicht mit der Geige aufhören», wiederholte Lulu. «Es soll nur nicht mehr so intensiv sein. Es ist nicht das Hauptsächliche, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Du hast sie ausgesucht, nicht ich.»
    Es stellte sich heraus, dass «nicht mehr so intensiv» radikale Einschnitte bedeutete, die mir das Herz brachen. Erstens beschloss Lulu, aus dem Orchester auszuscheiden, ihre Position als Konzertmeisterin aufzugeben, um den Samstagvormittag für Tennis frei zu haben. Es vergeht keine Sekunde, in der mich das nicht schmerzt. Als sie bei einem Konzert in Tanglewood ihr letztes Stück als Konzertmeisterin spielte und dann dem Dirigenten die Hand schüttelte, weinte ich fast. Zweitens wollte Lulu nicht mehr jeden Sonntag zum Unterricht nach New York fahren; also gaben wir unseren Platz in Miss Tanakas Studio auf – unseren kostbaren Platz bei einer berühmten Dozentin an der Juilliard School, der so schwer zu erringen gewesen war!
    Stattdessen suchte ich einen Lehrer in der Nähe, in New Haven. Nach einem langen Gespräch kamen wir überein, dass Lulu auf eigene Faust üben würde, ohne mich als regelmäßigen Coach, und zwar nur dreißig Minuten am Tag – was nicht annähernd genug war, um ihr hohes Niveau zu halten.
    Während der ersten zwei Wochen nach Lulus Entscheidung wanderte ich durchs Haus wie jemand, der seine Mission verloren hat, seinen Lebenszweck.
    Unlängst traf ich bei einem Mittagessen Elizabeth Alexander, die Professorin in Yale, die zu Präsident Obamas Amtseinführung ein Gedicht geschrieben und vorgetragen hat. Ich bekundete Bewunderung für ihre Arbeit, und wir wechselten ein paar Worte.
    Dann stutzte sie plötzlich und sagte: «Moment mal – ichkenne Sie doch! Haben Sie nicht zwei Töchter, die an der Neighborhood Music School waren? Sind Sie nicht die Mutter dieser beiden unglaublich talentierten Musikerinnen?»
    Ich
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