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Die Mutter der Königin (German Edition)

Die Mutter der Königin (German Edition)

Titel: Die Mutter der Königin (German Edition)
Autoren: Philippa Gregory
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anderen unterscheiden kann. Es sind so viele, und sie sind so elend, dass ich von der Straße gedrängt werde, und so stelle ich mich in einem Tor unter und lasse sie vorüberziehen. Es scheint, als wollte sie niemals enden, diese Prozession von blutbefleckten Männern, die dem Tod entkommen sind, grün und blau geprügelt und nass vom Schnee.
    «Werte Mutter? Werte Mutter?»
    Als ich seine Stimme höre, denke ich zuerst, ich bildete es mir nur ein. «Anthony?», frage ich ungläubig. Ich sitze ab und stolpere vorwärts, bis ich fast untertauche in dem Meer der verwundeten Männer, die von allen Seiten auf mich zustürzen und mich anrempeln. Ich zupfe an ihren Ärmeln und sehe in ihre erschrockenen grauen Gesichter. «Anthony? Anthony!»
    Er löst sich aus einer kleinen Gruppe. Mein Blick tastet ihn in Windeseile von Kopf bis Fuß ab und erfasst seine müden Augen, sein grimmiges Lächeln, seinen unversehrten Körper. Er streckt die Arme nach mir aus; seine Hände, seine kostbaren Hände sind heil, er hat keine Finger verloren, seine Arme sind nicht bis auf die Knochen verwundet. Er steht aufrecht. Sein Helm ist fort, und sein Gesicht ist unverletzt, auch wenn es grau ist vor Müdigkeit. «Wie geht es dir?», frage ich ungläubig. «Mein Sohn! Geht es dir gut? Hast du es heil überstanden?»
    Sein Lächeln hat das fröhliche Strahlen eingebüßt. «Mir geht es gut», sagt er. «Ich danke Gott, der mich die ganze lange Nacht und den ganzen Tag beschützt hat. Was machst du hier? Es ist die Hölle.»
    «Ich suche euch», sage ich. «Und … Anthony, wo ist dein Vater?»
    «Oh!», ruft er aus, als er begreift, was ich denke. «O nein, Mutter. Es geht ihm gut. Er ist unversehrt. Er ist …» Er sieht sich um. «Hier ist er.»
    Ich drehe mich um, und da ist Richard. Ich erkenne ihn kaum. Sein Brustharnisch ist über dem Herzen eingedrückt, sein Gesicht schwarz von Ruß und Blut, doch er kommt auf mich zu, wie er immer auf mich zukommt, als könnte nichts uns trennen.
    «Richard», flüstere ich.
    «Geliebte», sagt er heiser.
    «Wie geht es dir?»
    «Ich kehre doch immer zu dir nach Hause zurück.»
    Wir halten uns westlich, fort von der Straße nach York, die verstopft ist von Männern, die auf den Knien um Wasser flehen, und gesäumt von denen, die am Wegesrand sterben. Wir reiten querfeldein durch die breite Ebene von York, bis wir ein Bauernhaus finden, wo man uns erlaubt, in der Scheune zu schlafen und uns im Bach zu waschen, und wo man uns etwas zu essen verkauft. Wir essen Bauernsuppe, ein Stück verkochtes Hammelfleisch mit Haferschleim und Möhren und trinken ihr Dünnbier.
    Als Richard etwas zu sich genommen hat und nicht mehr ganz so erschöpft wirkt, stelle ich ihm vorsichtig eine Frage, vor deren Antwort ich mich fürchte. «Richard, die Königin geht nach Norden, um sich neu aufzustellen, und dann weiter nach Schottland, um weitere Soldaten anzuwerben. Sie will zurückkommen. Was sollen wir tun?»
    Schweigen. Anthony und mein Gemahl sehen einander an, als fürchteten sie sich davor, was sie gleich sagen werden.
    «Was ist?» Mein Blick geht von einem zum anderen. «Was ist geschehen?»
    «Wir sind vernichtet», meldet Anthony sich zu Wort. «Es tut mir leid, werte Mutter. Ich habe mein Schwert abgegeben. Ich habe York meine Treue geschworen.»
    Sprachlos wende ich mich Richard zu.
    «Ich auch», bestätigt er. «Ich werde der Königin nicht mehr dienen, nicht in einer solchen Armee, nicht unter einem solchen Kommando. Wie auch immer, wir haben auf dem Schlachtfeld verloren, wir haben ihnen unsere Schwerter ausgehändigt und uns ergeben. Ich dachte, Edward würde uns exekutieren lassen, doch …» Ein geisterhaftes Lächeln spielt um seine Züge. «Er war barmherzig mit uns. Er hat unsere Schwerter entgegengenommen. Ich bin entehrt, ich bin kein Ritter mehr, es tut mir leid. Wir haben ihm die Treue geschworen. Für uns ist es vorbei. Ich kann nicht gegen ihn die Waffen ergreifen. Ich kann Henry oder Marguerite nicht mehr dienen, von jetzt an sind sie für mich Geächtete.»
    Dass er sie so unumwunden beim Vornamen nennt, erschüttert mich am meisten, denn es sagt mir, dass alles vorbei ist, dass alles anders geworden ist. «Henry», wiederhole ich, als sagte ich den Namen zum allerersten Mal. «Du hast den König Henry genannt.»
    «Der Name des Königs lautet Edward», erwidert mein Gemahl, wie eine auswendig gelernte Lektion. «König Edward.»
    Ich schüttele den Kopf. Obwohl ich den ganzen Tag gegen
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