Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
Vom Netzwerk:
einer Frau die Kleider vom Leibe
reißt, um gleich darauf in Seattle hinter einem
umgestürzten Fahrzeug in Deckung zu gehen, von dem
Querschläger abprallen, wonach er in Taschkent den insektoiden
Polizisten mit ihren Schrotgewehren gegenübersteht, um dann in
London wieder die Brände zu sehen, zurück zur
Vergewaltigung nach Montevideo, dann nach Taschkent, wo die Waffen
aufbrüllen und überall Blut spritzt, weiter nach Paris, wo
ein XV-Reporter im zweiten Stock eines brennenden Gebäudes
eingeschlossen ist – all das in drei Sekunden, nicht nur Bilder,
sondern das ganze Spektrum der Sinneswahrnehmungen, ohne
Unterlaß.
    Das einzige, was den Globalen Aufstand am Ende noch zu begrenzen
schien, war die Tatsache, daß die Menschen es überwiegend
vorzogen, zu Hause zu bleiben und ihre Cyber-Ausrüstung
anzulegen, um die weltweite Gewalt und Zerstörung konzentriert
mitzuerleben, anstatt sie als Kulisse für eigene Randale zu
nutzen.
    Am Ende waren weltweit mindestens eine halbe Million
XV-verkabelter Menschen ums Leben gekommen, weil sie während des
Hin- und Herzappens zwischen dem flammenden Inferno in Seoul,
amoklaufenden Truppen in Denver, der Plünderung von
Spirituosenläden in Warschau und den populären kollektiven
Vergewaltigungen in Montevideo ganz übersehen hatten, daß
das Haus über ihren Köpfen abbrannte. Per Saldo gab es neun
Millionen Tote, wobei die später erfolgten Selbstmorde,
Unfälle von im Einsatz befindlichen Feuerwehrfahrzeugen und
Krankenwagen sowie Herzanfälle während der XV-Sendungen
statistisch noch gar nicht erfaßt waren.
     
    Bisher ist es noch niemandem gelungen, eine
Präventionsstrategie für den nächsten Globalen
Aufstand zu konzipieren. Di kann Henrys Befürchtungen sehr gut
nachvollziehen. Angeblich soll UNIC jetzt über die Technik
verfügen, die Kontrolle über das Netz zu erlangen und die
globale Kommunikation im Notfall zu unterbinden, aber nachdem Di am
frühen Abend Zeuge ihres Unvermögens gewesen ist,
Abdulkashim mundtot zu machen, weiß er, daß das nichts
als Propaganda ist.
    All das stürmt als eine große Impression auf Di ein,
und er schluckt schwer. »In Ordnung, Henry«, sagt er dann.
»Aus dem Stegreif würde ich sagen, daß eine derart
hohe Methanemission spürbare Auswirkungen haben wird, die von
den Menschen auch registriert werden. Methan ist das Hauptmedium der
globalen Wärmespeicherung, und es wird noch vor dem Erreichen
des Frühlingspunktes auf der Nordhalbkugel freigesetzt. In
diesem Frühjahr werden die Temperaturen viel schneller steigen
als sonst. Sie werden ihnen begreiflich machen müssen, daß
es sich hier nicht um ein laues Lüftchen handelt, das
geheimgehalten werden kann. Also… aber wie schnell? Sie sagten,
hundertfünfzig bis zweihundert Milliarden Tonnen – ist
diese Zahl auch verläßlich?«
    »Das ist das geschätzte Volumen, das bereits aus den
Betten ausgetreten ist«, erwidert Henry, »und weil sie
anscheinend in der Lage sind, bis zu einem gewissen Grad einen
mechanischen Druckausgleich herbeizuführen, ist diese Zahl
wahrscheinlich noch zu niedrig angesetzt. Wie schnell – das
weiß ich nicht. Wie lange braucht ein Gas von relativ geringer
Dichte, um an die Meeresoberfläche zu steigen? Methan ist in
Wasser schwer löslich, so daß wir diesen Aspekt
vernachlässigen können; außerdem glaube ich,
daß das jetzt gelöste Gas nur die spätere Absorption
aus anderen Quellen blockieren wird. Was den Weg durch das Eis
betrifft -Sie wollen meine Prognose? Ich wette, es hat keine Stunde
gedauert, bis das Methan die Unterseite des Eises erreicht hat. Und
es ist von so vielen Rissen und Spalten durchzogen, daß ich
nicht glaube, das Gas wird länger als zwei oder drei Stunden vom
Eis aufgehalten. Wir haben bereits erwogen, die Taschen auszubrennen
– mittels Raketen Löcher zu sprengen und das Gas
abzufackeln –, aber durch den Kollaps einer Tasche wird das Eis
wahrscheinlich noch spröder, so daß noch mehr Methan
entweicht. Es wird wohl darauf hinauslaufen, daß wir eine
Alibi-Aktion durchführen, aber wir versprechen uns nichts davon.
Sie können also ganz inoffiziell davon ausgehen, daß
morgen alles in der Atmosphäre ist.«
    Di stößt einen leisen Pfiff aus, lehnt sich
zurück, greift nach seinem Notebook und klappt es auf dem Tisch
vor sich auf. »Ich werde wieder auf Sie zurückkommen
müssen – und ich brauche Zahlen, präzise Zahlen, und
zwar zügig. Ich kann damit schnell einige Hochrechnungen
erstellen. Und Sie haben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher