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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter
Autoren: Petra Hammesfahr
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zusammenfand.
    Was soll man sagen zu solch einem Quatsch? Wenn es Regina Kolter half, ihren Schmerz zu bewältigen – mich machte es nur müde. Sei vernünftig, Vera! Vernunft glaubt nicht an Humbug. Vernunft bedauert die armen Geschöpfe, die sich an dreibeinige Tischchen, Tarot-Karten, Schreibbretter oder andere unsinnige Hilfsmittel klammern, um ihr Leben zu meistern. Vernunft meistertes auf andere Weise, sieht den Schmerz als wildes Tier und wehrt sich nach Kräften, von diesem Tier zerfleischt zu werden.
    Ab und zu tauchte Klinkhammer auf, um sich ein wenig Frust von der Seele zu reden und zu beteuern, dass sie am Ball blieben. Ich fragte mich immer, an welchem Ball. Beschuldigungen gegen Jürgen erhob er nicht mehr. Er hatte sich auf Udos Vater eingeschossen. Aber der alte von Wirth war ein zäher Hund. Von ihm würden sie nie erfahren, was mit Rena geschehen war.
    In den Wochen bis Mitte November wusste ich nicht, was ich glauben sollte. Einmal dachte ich so und einmal so. Einmal dachte ich, dass die von Wirths ihre Katastrophe hatten und wir unsere. Und dass beide nichts miteinander zu tun hatten. Sie hatten auch keinerlei Ähnlichkeiten. Die von Wirths wussten immerhin, warum ihr Leben zerbrochen war. Wir wussten es nicht. Und unsere Blumen verwelkten im warmen Zimmer statt auf einem Grab.
    Es passierte nichts, absolut nichts von Bedeutung. Wenn man davon absieht, dass ich einmal einen Streit mit Jürgen hatte. Ich weiß nicht mehr, welcher Tag es war. Ich weiß nur noch, dass ich an dem Morgen Besorgungen machen musste und erst gegen elf in die Praxis kam.
    Sandra Erken war im Labor. Jasmin saß an der Anmeldung und telefonierte. Sie deutete zum kleinen Untersuchungsraum hinüber. Das hieß, Jürgen machte gerade Ultraschall. Ich stand ein paar Minuten bei Jasmin, unterhielt mich mit ihr. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, worüber. Wahrscheinlich über die beiden Frauen im Wartezimmer, deren Karten sie bereitgelegt hatte. Oder über Freda Jankowik, die bei Jürgen war. Von da an erinnere ich mich.
    Jasmin sagte: «Den Termin vor drei Wochen hat sie sausen lassen. Da wollte sie lieber mit ihrem Freund verreisen und hat sich einen Termin für nächste Woche geben lassen. Und eben steht sie hier und heult mir was vor. Sie will Ihnen ja nichts, aber sie hat so ein ungutes Gefühl. Ihr Freund hat sich die Ultraschallaufnahmeangeschaut und meint, da stimmt etwas nicht. Sie muss unbedingt mit dem Doktor reden. Jede Wette, jetzt redet sie so lange auf ihn ein, bis er ihr grünes Licht und eine Adresse gibt. Aber jetzt ist es ein bisschen spät, es ist doch schon der vierte Monat.»
    Jasmin grinste. «Sandra hat ja auch gesagt, die will’s loswerden. Ich geb was auf das Gerede vom Freund. Der ist nämlich noch verheiratet. Und ich glaub nicht, dass er sich scheiden lässt. Ich kenne ihn, das heißt, ich kenne seine Frau und seine Kinder. Er hat schon zwei, und die sind noch verdammt klein. Da wird er sich dreimal überlegen, wo ihn der Unterhalt billiger kommt.»
    Es klang so normal, nach Alltag. Es war auch normal, es ging eben weiter im Alltag – für andere. Für mich nicht. Ich rutschte so oft auf Knien ein Stück zurück. Nur im Geist, es tat trotzdem weh, sich plötzlich vor der Tür ihres Zimmers wieder zu finden oder am Telefon in der Diele. Da stach mir das Freizeichen ins Ohr, aber es nahm niemand ab, und ich sagte zu Jürgen: «Sie sind bestimmt noch im Stall. Ich fahre gleich los.» Und dann blinzelte ich und stand im Labor oder neben dem Untersuchungsstuhl oder bei Jasmin an der Anmeldung.
    Ein paar Minuten später kam Freda Jankowik gefolgt von Jürgen aus dem Untersuchungsraum. Sie sah aus, als habe sie gerade eine furchtbare Nachricht erhalten. Als sie mich sah, drehte sie ihr Gesicht zur Seite und begann zu weinen. Jürgen legte ihr eine Hand auf den Arm. «Denken Sie noch einmal in Ruhe über das nach, was ich Ihnen gesagt habe. Wir sehen uns dann in einer Woche. Und wenn Sie sich entschieden haben, kümmere ich mich sofort um einen Platz in der Klinik.»
    Dann winkte er mich ins Sprechzimmer. Er begann wie Klinkhammer, als sie uns die Tagebücher auf den Tisch knallten. Genauso knallte er den Abzug des Ultraschallbildes hin, das ich Freda Jankowik ausgehändigt hatte.
    «Ein Baby, ja?» Sein Finger tippte wie ein Specht am Baumstamm auf das Bildchen. «Und was ist das hier?»
    «Reg dich bloß nicht auf», sagte ich, als ich das winzige Köpfchen erkannte, das ich an jenem Morgen für
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