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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher
Autoren: Rosamunde Pilcher
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V-Ausschnitt entdeckt hatte. Er war nicht wieder eingeladen worden.
    Mrs. Croftway stand am Spülbecken und schälte Kartoffeln fürs Abendessen. Sie war eine beeindruckende Person (im Gegensatz zu ihrem Mann, der immerzu schmutzige Reden im Mund führte) und trug bei der Arbeit eine weiße Kittelschürze, als ob sie nur dann professionell kochen und genießbare Gerichte auf den Tisch bringen könne. Was nur selten der Fall war, aber ihr abendliches Erscheinen in der Küche bedeutete wenigstens, daß Nancy nicht selbst zu kochen brauchte.
    Sie beschloß, ohne Umschweife zur Sache zu kommen. »Übrigens, Mrs. Croftway. eine kleine Planänderung. Ich muß morgen nach London und mit meiner Schwester essen. Es geht um meine Mutter, und alles kann man eben nicht am Telefon besprechen.«
    »Ich dachte, Ihre Mutter ist nicht mehr im Krankenhaus.«
    »Das stimmt, aber ich habe gestern mit ihrem Arzt telefoniert, und er sagt, es wäre unverantwortlich, wenn sie weiter allein lebt. Es war nur ein leichter Herzanfall, und sie hat sich sehr gut davon erholt, aber trotzdem. man kann nie wissen.« Sie erzählte Mrs. Croftway diese Einzelheiten nicht etwa deshalb, weil sie Zuspruch oder gar Mitgefühl erwartete, sondern weil Mrs. Croftway für ihr Leben gern über Krankheiten redete, und weil sie, Nancy, hoffte, es würde sich positiv auf ihre Stimmung auswirken. »Meine Mutter hatte mal einen Herzanfall und war danach nie wieder dieselbe. Sie war fast immer blau im Gesicht, und ihre Hände waren so geschwollen, daß man ihr den Ehering abzwacken mußte.«
    »Das habe ich gar nicht gewußt, Mrs. Croftway.«
    »Sie konnte nicht mehr allein leben. Ich habe sie zu mir und Croftway geholt, und sie hat das beste Schlafzimmer bekommen, aber ich kann Ihnen sagen, ich war fix und fertig. Den ganzen Tag auf der Treppe, weil sie oben in einem fort mit einem Besenstiel auf den Fußboden klopfte. Ich war zuletzt ein Nervenbündel. Der Arzt sagte, er hätte noch nie jemanden gesehen, der so mit den Nerven fertig war wie ich. Also hat er Mutter ins Krankenhaus gesteckt, und da ist sie dann gestorben.«
    Das war offenbar das Ende der deprimierenden Geschichte. Mrs. Croftway wandte sich wieder ihren Kartoffeln zu, und Nancy fiel nichts anderes ein als: »Das tut mir leid. Es muß eine große Belastung für Sie gewesen sein. Wie alt war Ihre Mutter?«
    »Sie wäre in einer Woche sechsundachtzig geworden.«
    »Oh.« Nancy gab ihrer Stimme einen entschlossenen Unterton. »Meine Mutter ist erst vierundsechzig, und deshalb bin ich sicher, daß sie sich wieder richtig erholen wird.«
    Mrs. Croftway warf eine geschälte Kartoffel in den Topf und drehte sich zu Nancy um. Sie sah anderen selten in die Augen, aber wenn sie es tat, war es beunruhigend, weil ihre Augen sehr hell waren und niemals zu zwinkern schienen.
    Mrs. Croftway hatte ihre eigene Meinung über Nancys Mutter. Sie hatte diese Mrs. Keeling nur einmal gesehen, bei einem ihrer seltenen Besuche im Alten Pfarrhaus, aber das hatte allen gereicht. Sie war eine große dürre Frau mit dunklen Zigeuneraugen und Kleidern, die aussahen, als sollte man sie schleunigst irgendeiner Hilfsorganisation geben. Sie war auch dickschädelig gewesen, denn sie kam in die Küche und bestand darauf, das Geschirr abzuspülen, obgleich Mrs. Croftway ihre eigene Methode hatte, die Dinge zu erledigen, und sich nicht gern ins Handwerk pfuschen ließ. »Komisch, daß sie einen Herzanfall hatte«, bemerkte sie nun. »Kam mir kräftig und kerngesund vor.«
    »Ja«, sagte Nancy schwach. »Ja, es war ein Schock - für uns alle«, fügte sie mit salbungsvoller Stimme hinzu, als sei ihre Mutter bereits tot und man könne beruhigt gut über sie reden. Mrs. Croftway preßte die Lippen aufeinander. »Erst vierundsechzig?« fragte sie dann ungläubig. »Sie sieht aber älter aus, nicht? Ich habe sie auf gut siebzig geschätzt.«
    »Nein, sie ist vierundsechzig.«
    »Und wie alt sind Sie?«
    Sie war wirklich schrecklich. Nancy fühlte, wie sie aufgrund dieses unmöglichen Benehmens innerlich erstarrte, und war sich bewußt, daß ihr das Blut in die Wangen stieg. Wie gern hätte sie den Mut gehabt, die Person anzufahren und ihr zu sagen, sie solle ihre Nase nicht in fremde Angelegenheiten stecken, aber dann würde sie vielleicht kündigen, und Croftway würde auch gehen, und was würde sie, Nancy, dann mit dem Garten und den Pferden und dem riesigen Haus und all den hungrigen Mäulern machen, die sie täglich füttern mußte?
    »Ich
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