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Die Morde des Herrn ABC

Die Morde des Herrn ABC

Titel: Die Morde des Herrn ABC
Autoren: Agatha Christie
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Poirot seinen Schlussbericht über den Fall ABC begann.
    «Von allem Anfang an hatte mir das Warum Kopfzerbrechen verursacht», führte er aus. «Hastings hat mir neulich verkündet, der Fall sei nun abgeschlossen. Ich habe ihm erwidert, der Fall sei der Mann. Geheimnisvoll seien nicht die Morde an sich, sondern das Individuum ABC. Warum sah er sich zu diesen Morden gezwungen? Warum wählte er mich als seinen Gegner aus?
    Diese Fragen damit zu beantworten, dass man feststellt, ABC sei geistig nicht normal, ist billig. Zu sagen, ein Mensch begehe wahnsinnige Taten, weil er eben wahnsinnig sei, scheint mir geistlos und dumm. Ein Verrückter handelt mit der gleichen Logik und Überlegung wie ein gesunder Mensch – selbstverständlich von seinem verworrenen und besonderen Standpunkt aus betrachtet. Wenn zum Beispiel ein Mann darauf besteht, nur mit einem Leintuch bekleidet durch die Straßen zu gehen, dann berührt uns das denkbar komisch. Sobald wir aber erfahren, dass dieser Mann sich einbildet, Mahatma Gandhi zu sein, müssen wir seinem Benehmen Logik und Vernunft zugestehen.
    In unserem Fall war also vor allem eines wichtig: nämlich herauszubekommen, wer vier oder mehr Mordtaten durchaus richtig und notwendig finden konnte und wer diese seine Pläne Hercule Poirot mit einem gewissen Hohn vorher ankündigen zu müssen glaubte.
    Mein Freund Hastings kann Ihnen bestätigen, dass ich vom ersten Augenblick an, da ich einen Brief von ABC erhielt, sehr unruhig und bedrückt war. Irgendetwas an diesem ersten Brief schien mir nicht zu stimmen.»
    «Womit Sie ja ganz Recht hatten», bemerkte Clarke trocken.
    «Ja. Aber damals, zu Beginn, machte ich einen schweren Fehler. Ich erlaubte meinem Gefühl – meinem sehr intensiven Gefühl bezüglich dieses Briefes – Gefühl zu bleiben. Ich behandelte es als unklare, ungerechtfertigte Ahnung. In einem ausgeglichenen und vernünftigen Geist haben Ahnungen keinen Platz. Vermuten kann man, gewiss, und eine Vermutung erweist sich früher oder später als richtig oder falsch. Bewahrheitet sie sich, dann spricht man gern von Eingebung – hat man sich geirrt, dann spricht man am liebsten gar nicht mehr davon. Sehr oft jedoch ist eine solche Eingebung in Wirklichkeit das Produkt logischer Überlegung oder großer Erfahrung. Wenn ein Sachverständiger spürt, dass mit einem Bild oder einem antiken Möbelstück oder einer Unterschrift auf einem Scheck etwas nicht stimmt, dann basiert dieses Gefühl auf einer Menge kleiner Anzeichen. Er braucht diesen gar nicht bis ins Detail nachzugehen. Seine Erfahrung erhärtet sein Gefühl, und das Ergebnis davon ist eben die Feststellung, dass etwas nicht stimmen könne. Aber das ist keine Verm u tung, sondern ein auf Erfahrung gestütztes Wissen.
    Eh bien, ich gestehe ein, dass ich den ersten Brief nicht so untersuchte, wie ich gesollt hätte. Er berührte mich sehr unangenehm – das ist aber auch alles. Die Polizei erblickte in jenem Schreiben lediglich einen dummen Scherz, wogegen es mich beunruhigte. Ich wusste, dass in Andover ein Mord passieren würde, wie es dann ja auch tatsächlich der Fall war.
    Zum damaligen Zeitpunkt war keinerlei Aussicht vorhanden zu erfahren, wer der Täter war. Mir stand nur die Möglichkeit offen, herauszufinden, welche Art Mensch er war. Dazu standen mir einige Hinweise zur Verfügung. Der Brief, die Art des Mordes, die Ermordete. Was ich zu ergründen versuchte, war: das Motiv für diesen Mord – das Motiv für den Brief an mich.»
    «Drang, aufzufallen», warf Clarke ein.
    «Ausgehend von einem Minderwertigkeitskomplex», fügte Thora Grey bei.
    «Gewiss, das waren zwei wesentliche Punkte, denen ich nachzugehen hatte. Aber warum mich einbeziehen, mich, Hercule Poirot? Wenn diese Briefe direkt an Scotland Yard geschickt worden wären, hätten sie doch weit mehr Aufsehen erregt. Noch besser: Sie an eine Zeitung schicken! Eine Zeitung hätte vielleicht den ersten Brief unbeachtet gelassen; aber sobald einmal der zweite Mord, wie angekündigt, stattgefunden hätte, wäre eine Pressekampagne sondergleichen aufgezogen worden. Warum also Hercule Poirot? Aus persönlichen Gründen? Aus dem Brief ging, wenn auch sehr verschleiert, eine gewisse Abneigung gegen Ausländer hervor, aber das vermochte mich nicht hinreichend zu überzeugen.
    Dann traf der zweite Brief ein, gefolgt vom Mord an Betty Barnard in Bexhill. Damals wurde klar, was ich längst vermutet hatte, dass die Mordtaten in alphabetischer Reihenfolge verübt
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