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Die Morde des Herrn ABC

Die Morde des Herrn ABC

Titel: Die Morde des Herrn ABC
Autoren: Agatha Christie
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stand Poirot an meinem Bett und schüttelte mich sanft an der Schulter. Ein Blick in sein Gesicht riss mich aus dem Halbschlaf und in die Wirklichkeit.
    «Was ist los?» fragte ich und setzte mich rasch auf.
    Seine Antwort klang sehr einfach, aber es lag eine Welt von Emotionen darin.
    «Es ist geschehen.»
    «Nein!», rief ich. «Heißt das, dass… Aber der Fünfundzwanzigste ist doch erst heute!»
    «Es passierte vergangene Nacht, oder besser gesagt, in den ersten Morgenstunden des heutigen Tages.»
    Während ich aus dem Bett sprang und mich hastig ankleidete, berichtete er mir, was er eben am Telefon gehört hatte.
    «Man hat den Leichnam eines jungen Mädchens am Strand von Bexhill gefunden. Sie wurde als Elizabeth Barnard identifiziert. Kellnerin in einem Café, die mit ihren Eltern in einem kleinen, erst kürzlich gebauten Bungalow wohnte. Nach ärztlichen Feststellungen ist der Tod zwischen zwölf und ein Uhr nachts eingetreten.»
    «Und ist man ganz sicher, dass es sich dabei um das Verbrechen handelt?», fragte ich und seifte mein Gesicht ein.
    «Es wurde tatsächlich ein ABC-Fahrplan, auf der Seite mit den Zügen nach Bexhill aufgeschlagen, unter der Leiche gefunden.»
    Mich überlief es kalt.
    «Wie grässlich!»
    «Vorsicht, Hastings! Ich möchte nicht Zeuge einer zweiten Tragödie sein!»
    Ich wischte mir betreten das Blut vom Kinn.
    «Was haben Sie für einen Schlachtplan?», fragte ich.
    «Wir werden in wenigen Minuten per Auto abgeholt. Ich bringe Ihnen eine Tasse Kaffee herein, damit wir dann sofort starten können.»
    Zwanzig Minuten später überquerten wir in einem schnellen Polizeiwagen die Themse und fuhren den Vorstädten Londons entgegen.
    Inspektor Crome, der kürzlich an unserer Konferenz teilgenommen hatte, begleitete uns. Er hatte den Fall offiziell übernommen. Crome war das genaue Gegenteil von Japp. Viel jünger als dieser, war er der Typ des schweigsamen, beherrschten Beamten. Er war wohl erzogen und gebildet und – für meinen Geschmack – ein bisschen zu selbstsicher. Er hatte vor kurzem Erfolg gehabt mit einer Reihe von Kindesmorden, deren Urheber er geduldig und geschickt entdeckt und seiner Strafe zugeführt hatte, die der Mann nun in Broadmoor absaß.
    Er war ganz bestimmt der Richtige für diesen Fall; aber mir kam es so vor, als wisse er selber das eine Spur zu gut. Er schlug Poirot gegenüber einen Ton leicht überlegener, gönnerhafter Höflichkeit an.
    «Ich habe mich lange mit Dr. Thompson unterhalten», sagte er. «Die Serien- oder Kettenmorde interessieren ihn ganz speziell. Begreiflich, denn sie entspringen ja auch einem ganz besonders kompliziert gelagerten Seelenzustand. Als Laie freilich versteht man die Finessen, die einem Arzt sofort auffallen, weniger zu schätzen.» Er räusperte sich. «Tatsächlich war mein letzter Fall – vielleicht haben Sie davon gelesen – die Sache mit Mabel Homer, dem Schulmädchen aus Muswell Hill, wissen Sie? Also dieser Täter, ein gewisser Capper, das war auch so ein eigenartiger Mensch. Erstaunlich schwierig, ihm das Verbrechen nachzuweisen, und dabei war es sein drittes! Sah ganz normal aus, wie Sie und ich. Aber dafür gibt es ja die verschiedenen Tests, wissen Sie, Fangfragen und so – ganz modern. Das hat es natürlich zu Ihrer Zeit noch nicht gegeben. Wenn man einen Menschen dazu bringt, solche Fragen zu beantworten, dann kann man ihn schnappen! Er weiß, dass man etwas weiß, und das macht ihn nervös. Und dann verrät er sich mit jedem Wort.»
    «Das ist sogar zu meiner Zeit ab und zu vorgekommen», stellte Poirot ruhig fest.
    Inspektor Crome sah ihn von der Seite an und murmelte höflich:
    «Tatsächlich?»
    Daraufhin schwiegen wir eine ganze Weile. Als wir New Cross Station passierten, sagte Crome:
    «Wenn Sie mich irgendetwas fragen wollen, was mit dem Fall in Zusammenhang steht, bitte genieren Sie sich nicht.»
    «Sie haben wahrscheinlich keine eingehende Beschreibung des jungen Mädchens?»
    «Sie war dreiundzwanzig Jahre alt und arbeitete als Kellnerin im ‹Ginger Cat Café›…»
    «Pas ca. Ich meine… war sie hübsch?»
    «Darüber habe ich keine Auskünfte», erwiderte Crome zurückhaltend. Sein Ton verriet seine Gedanken: wirklich – diese Ausländer! Sind doch alle gleich!
    In Poirots Augen funkelte Belustigung.
    «Das erscheint Ihnen durchaus nebensächlich, nicht wahr? Aber für eine Frau ist dieser Punkt von ausschlaggebender Bedeutung. Manchmal bestimmt er ihr ganzes Schicksal.»
    Crome verschanzte sich
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