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Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
Autoren: Nina George
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nicht, wie lange sie durchgehalten hatte, aber als das Seitenstechen nicht mehr auszuhalten war, ließ sie sich am Rand eines kleinen Brunnens nieder. Sie ließ sich das Wasser über die Handgelenke rinnen und blickte in ihr Spiegelbild auf der Wasseroberfläche.
    Hieß es nicht, Schönheit sei ein Zustand der Seele? Und wenn eine Seele geliebt würde, dann verwandelte sich jede Frau in ein bewunderungswürdiges Wesen, mochte sie sonst noch so durchschnittlich sein. Die Liebe veränderte die Seelen der Frauen, und sie wurden schön, für Minuten nur oder für immer.
    Ich wäre so gern schön gewesen, dachte Marianne. Nur fünf Minuten. Ich wünschte, es hätte mich jemand geliebt, den ich liebe.
    Sie tauchte den Finger in das Wasser und rührte langsam darin herum. Ich hätte so gern mal mit einem anderen Mann als Lothar geschlafen. Ich hätte so gern etwas Rotes getragen.
    Ich wünschte, ich hätte gekämpft.
    Sie stand auf. Es war nicht zu spät; sie konnte immer noch tun, was sie wollte, und sie wollte, dass es endlich vorbei war.

6
    I n der Bahnhofshalle des Gare du Montparnasse setzte sich Marianne vor einem Zeitschriftenkiosk auf eine Bank und fixierte die Anzeigentafel, auf der der TGV 8715 Atlantique um zehn Uhr fünf nach Quimper angezeigt wurde.
    Sie war von einem freudvollen Lampenfieber durchdrungen.
    Als die Schildertafel begann, die Buchstaben rotieren zu lassen, und ihr Zug auf Gleis sieben angezeigt wurde, erhob sich Marianne. Ihr Knie schmerzte wieder.
    Am Fahrkartenschalter hatte sie den Großteil ihrer Barschaft auf den Tresen gelegt und auf die Inschrift der Fliese getippt. Doch ihr Geld reichte nur bis Auray; von dort aus war es ihr selbst überlassen, weiter nach Pont-Aven und Kerdruc zu gelangen.
    Marianne sah sich um, ob jemand auf sie zustürzen und sie verhaften würde, als sie den langen, wie gepanzerten TGV entlangging.
    Mit jedem Schritt, den sie tat, hatte Marianne das Gefühl, dass sich etwas ihres Körpers bemächtigte. Als ob ein fremdes Wesen Einlass begehrte, sie ausfüllen und neu modellieren wollte, und sie hielt irritiert inne.
    Was sollte das?
    Sie griff nach den Halterungen und versuchte, sich die hohen Stufen des TGV hinaufzuziehen. Auf der mittleren hielt sie inne. Noch konnte sie wieder hinabsteigen und ein Telefon suchen, um Lothar anzurufen und ihn zu bitten, sie zu holen.
    Zu verhindern, was sie vorhatte.
    Aber ich bin doch bereits tot. Egal, wohin ich gehe.
    Sie zog sich entschlossen die nächste Stufe hoch und suchte nach ihrem Platz; er befand sich am Fenster. Sie ließ sich auf den Sitz gleiten, schloss die Augen und wartete, bis der Zug endlich aus dem Bahnhof rollte. Niemand setzte sich neben sie.
    Als sie aufsah, begegnete Marianne einem lächelnden Gesicht. Die Frau widersetzte sich den Niederlagen – es war ihr anzusehen; ihre großen, hellen Augen glühten. Als sich ihre Blicke begegneten, schlug Marianne ihre Lider rasch nieder; sie verstand nicht, warum diese Frau sie so ansah.
    Sie hatte sich selbst nicht erkannt, im spiegelnden Fenster.
    Als sie es schließlich tat, schloss sie ihren eigenen Blick ganz und gar in sich ein. So wollte sie sich in Erinnerung behalten, mit diesem schwachen Strahlen in den Augen, mit malvenfarbenen Wangen und der Sonne, die in ihrem Haar tanzte.

    Als sie drei Stunden später in Auray ausstieg, sog sie tief die Luft ein; sie war seidiger, klarer als in Paris, nicht so drückend. Marianne beschloss, eine Landkarte und Wasser zu kaufen und dann per Anhalter zu fahren. Irgendwie würde sie nach Kerdruc kommen, und wenn sie zu Fuß ginge.
    Als sie auf der anderen Seite des Bahnhofsgebäudes hinaustrat, sah sie eine Nonne auf der einzigen Bank im Schatten sitzen; sie saß völlig schief, den Kopf weit zurückgebogen und sah aus wie versehentlich verschieden. Marianne blickte sich um – niemand beachtete die Frau. Sie näherte sich ihr langsam.
    »Bonjour?«
    Die Nonne schwieg.
    Marianne berührte sie leicht an der Schulter. Die Nonne schnarchte auf. Aus ihrem geöffneten Mund tropfte Speichel auf ihre Ordenstracht. Marianne holte ein Papiertaschentuch hervor und tupfte ihr sachte das Kinn ab.
    »So, und was machen wir jetzt, nachdem wir uns besser kennen?«
    Die Nonne pupste, leise und zart.
    »Was für eine Konversation«, murmelte Marianne.
    Die Lider der Nonne flatterten, und sie erwachte. Ihr Kopf drehte sich mechanisch von links nach rechts, ihr Blick heftete sich schließlich auf Marianne.
    »Wissen Sie«, log Marianne,
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