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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin
Autoren: Neil Gaiman
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Carasel und Saraquael zusammen an Liebe gearbeitet haben, obwohl doch Carasels Neigung, sich in übertriebener Weise auf ein Thema einzulassen, bekannt war?‹
    Er sprach sanft mit mir, fast spöttelnd, wie ein Erwachsener, der vorgibt, eine ernste Unterhaltung mit einem kleinen Kind zu führen. ›Warum sollte irgendwer aus dem Hintergrund manipuliert haben, Raguel?‹
    ›Weil nichts ohne Grund geschieht und Du bist alle Gründe. Du hast Saraquael in die Falle gelockt. Ja, er hat Carasel getötet. Aber er hat Carasel getötet, damit ich ihn vernichten konnte.‹
    ›Und war es Unrecht von dir, ihn zu vernichten?‹
    Ich sah in seine uralten Augen. ›Es war meine Aufgabe. Aber ich glaube nicht, dass es recht war. Ich vermute, es war notwendig, dass ich Saraquael vernichte, um Luzifer die Ungerechtigkeit des Herrn zu demonstrieren.‹
    Da lächelte er. ›Und welchen Grund sollte ich dafür wohl haben?‹
    ›Ich … ich weiß nicht. Ich verstehe es nicht. Genauso wenig wie ich verstehe, warum Du die Finsternis oder die Stimmen in der Finsternis geschaffen hast. Doch das hast Du. Und Du hast veranlasst, dass all dies geschah.‹
    Er nickte. ›Ja, das habe ich. Luzifer muss über die Ungerechtigkeit von Saraquaels Schicksal grübeln. Und unter anderem wird es dies sein, was ihn zu bestimmten Handlungen treibt. Mein armer, guter Luzifer. Von all meinen Kindern wird er den schwersten Weg haben, denn er hat eine Rolle zu spielen in dem Drama, das kommen wird. Und es ist eine grandiose Rolle.‹
    Ich kniete wortlos vor dem Schöpfer Aller Dinge.
    ›Was wirst du jetzt tun, Raguel?‹, fragte er mich.
    ›Ich muss in meine Zelle zurückkehren. Meine Aufgabe ist nun erfüllt. Ich habe Rache geübt und ich habe den Täter entlarvt. Das ist genug. Aber … Herr?‹
    ›Ja, mein Kind.‹
    ›Ich fühle mich schmutzig. Unrein. Ich fühle mich besudelt. Vielleicht ist es wahr, dass alles, was geschieht, Dein Wille und darum gut ist. Doch manchmal hinterlässt Du Blut an Deinen Werkzeugen.‹
    Er nickte, als stimme er mir zu. ›Wenn du möchtest, kannst du all dies vergessen, Raguel. Alles, was heute geschehen ist.‹ Dann fügte er hinzu. ›Du wirst jedoch nie einem anderen Engel hiervon erzählen können, ganz gleich ob du Vergessen oder Erinnerung wählst.‹
    ›Ich wähle Erinnerung.‹
    ›Die Entscheidung liegt ganz bei dir. Aber du wirst feststellen, dass es manchmal einfacher ist, sich nicht zu erinnern. Vergessen kann eine Art Freiheit bedeuten. Und wenn du mich nun entschuldigen willst.‹ Er nahm eine Mappe von dem Stapel am Boden. ›Ich habe zu arbeiten.‹
    Ich stand auf und ging zum Fenster. Ich hoffte, Er werde mich zurückrufen, mir Seinen Plan in allen Einzelheiten erklären, es irgendwie besser machen. Doch Er sagte nichts mehr und ich verließ Ihn, ohne zurückzuschauen.«
    Dann schwieg der Mann. Er war so lange vollkommen still – ich konnte ihn nicht einmal mehr atmen hören –, dass ich schließlich unruhig wurde und schon fürchtete, er sei eingeschlafen oder gestorben.
    Dann erhob er sich.
    »Das war’s, Kumpel. Deine Geschichte. Meinst du, sie war zwei Zigaretten und ein Streichholzbriefchen wert?« Er fragte ohne Ironie, so als liege ihm tatsächlich etwas an der Antwort.
    »Ja«, versicherte ich. »Allerdings. Aber was passierte danach? Wie bist du … Ich meine, wenn …« Ich brach ab.
    Es war jetzt finster auf der Straße, kurz vor Tagesanbruch. Die Straßenlaternen waren nach und nach flackernd verloschen und ich sah ihn als Schattenriss vor dem ersten Schimmer am Himmel. Er vergrub die Hände in den Taschen. »Was passiert ist? Ich bin von daheim weggegangen und hab mich verlaufen und heute bin ich sehr weit weg von zu Hause. Manchmal tut man Dinge, die man bedauert, aber man kann sie nicht ungeschehen machen. Die Zeiten ändern sich. Türen schlagen hinter einem zu und man zieht weiter. Verstehst du?
    Schließlich bin ich hier gelandet. Es heißt immer, niemand ist je gebürtig aus L.A. Absolut wahr in meinem Fall. Teuflisch wahr.«
    Und ehe ich noch ganz begriff, was er tat, beugte er sich zu mir runter und küsste mich sanft auf die Wange. Seine Bartstoppeln kratzten, aber sein Atem, war erstaunlich angenehm. Er flüsterte mir ins Ohr: »Ich bin nie gefallen. Sie können sagen, was sie wollen. Ich mache immer noch meinen Job, so wie ich ihn verstehe.«
    Meine Wange brannte, wo die Lippen sie berührt hatten.
    Er richtete sich auf. »Aber trotzdem ginge ich gern wieder nach
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