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Die Melodie des Todes (German Edition)

Die Melodie des Todes (German Edition)

Titel: Die Melodie des Todes (German Edition)
Autoren: Jørgen Brekke
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vor der Tür des Schlafzimmers blieb sie stehen und fühlte in sich hinein. Die Angst war noch lange nicht weg, obwohl ihre Tochter jetzt wieder zu Hause war. Manchmal kam es ihr so vor, als würde sie sich jetzt fast noch mehr fürchten.
    Dann ging sie die gleichen Schritte, die sie beim letzten Mal gegangen war, an diesem schrecklichen Morgen, an dem ihre Welt auf den Kopf gestellt worden war. Sie öffnete die Tür zum Zimmer ihrer Tochter mit dem gleichen, lähmenden Gefühl.
    Ihr Kopf lag auf dem Kissen. Ruhig. Vielleicht schlief sie, vielleicht tat sie nur so.
    Elise Edvardsen atmete erleichtert auf, wusste aber, dass diese Erleichterung nur von kurzer Dauer sein würde. Die Sorgen würden wiederkommen, sobald sie neben ihrem Ehemann im Bett lag, wie in jeder Nacht, seit Julie zu ihnen zurückgekommen war. Sie lag mehr wach, als dass sie schlief. Ihr Kopf gebar die schlimmsten Fantasien, was Julie alles durchgemacht hatte, und sie brauchte große Teile des Vormittags, um diese Bilder wieder zu verstauen.
    Aber vielleicht machten die Sorgen sie ja stärker, bereiteten sie auf die Schwierigkeiten vor, die vor ihnen lagen. Aber wissen tat sie es nicht. Wissen tat sie gar nichts.

37
    Ein Lustschloss vor den Toren Kopenhagens, Juli 1767
    S chlüsselblume, Mandelblüte, Katzenpfötchen und Veilchen.«
    Sie sagte die Namen der Blumen auf, die sie auf ihrem Weg gepflückt hatte. Als sie das Haus erreichte, stellte sie sie in eine kleine Vase, die sie auf ihrem Schreibtisch platzierte. Sie hatte sich entschlossen. Sie musste ihrem Vater, Søren Engel, schreiben und ihm mitteilen, wer ihr Auserkorener in Wirklichkeit war. Sie konnte nicht länger Rücksicht darauf nehmen, dass ihr Liebster es ihr verboten hatte. Dass ihm das Leben als Christian Wingmark reichte, als Spielmann und Troubadour, und dass er seinen rechtmäßigen Platz niemals einfordern würde.
    Bevor sie zu schreiben begann, ging sie in Gedanken noch einmal ihr letztes Treffen durch.
    Er hatte sie auf Ringve besucht, wo ihr Vater sie untergebracht hatte, bevor sie weiter nach Kopenhagen reisen sollte. Gemeinsam hatten sie sich auf die blühende Wiese geschlichen und dort getan, was sie auch zuletzt getan hatten, als sie sich im März begegnet waren. Danach hatten sie nebeneinander gelegen und er hatte zu erzählen begonnen.
    Er war sieben Jahre alt gewesen, als sein Schiff bei einem Sturm im Skagerrak in Seenot geraten und gesunken war. Sie wa ren nicht weit von der Küste entfernt gewesen und er hatte einen Mast zu packen bekommen, der auf dem Wasser trieb. Als er später irgendwo an der schwedischen Küste an Land trieb, war er einfach losgelaufen. Vielleicht war das der Fehler seines Lebens gewesen. Wäre er am Strand sitzen geblieben, hätte jemand ihn gefunden und ihn sicher mit dem Schiffsunglück in Verbindung gebracht. Stattdessen war er ins Landesinnere gelaufen.
    Inzwischen erinnerte er sich wieder an alles. Wenn er diese Erinnerung doch nur damals gehabt hätte. Irgendetwas hatte ihn bei dem Unglück am Kopf getroffen, und es hatte Jahre gedauert, bis er sich wieder erinnerte, wer er war, zu einem Zeitpunkt, als er längst nicht mehr das Herrensöhnchen aus Trond heim war, der Erbe des Guts Ringve, der Sohn des besten Freunds ihres Vaters. Er war der Junge ohne Gedächtnis. Ein Irrer, der jahrelang in einer Anstalt eingesessen hatte. Eine einsame Seele, für die es keine Hoffnung gab.
    Als armer, junger Mann war er nach Stockholm gekommen. Aber er konnte musizieren und Lieder schreiben. Seine Mutter hatte ihm schon als kleinem Jungen beigebracht, die Laute zu spielen. In der Anstalt hatte er sich ein Instrument vom Pastor leihen dürfen, der jede Woche kam und ihn das Lesen lehrte. Vielleicht hatte er alles andere vergessen, nicht aber die Musik. Und mit der hatte er sich jahrelang über Wasser gehalten. Zu guter Letzt hatte ihn das Schicksal zurück nach Trondheim geführt, auf das Gut Ringve, und zu ihr. Aber erst im März, als er zum ersten Mal wieder auf dem Gut gewesen war, waren alle Erinnerungen an seine Kindheit zurückgekommen.
    Da hatte er plötzlich gewusst, wer er war.
    Sie aber hatten ihn nicht wiedererkannt. Wie sollten sie auch, nachdem sie beinahe zwanzig Jahre gebraucht hatten, sich mit seinem Tod abzufinden.
    Ich werde es ihnen sagen, dachte sie jetzt. Ich muss das einfach tun. Nur wenn sie das erfuhren, könnten sie heiraten. Ihr Vater konnte sich keinen besseren Mann für seine Töchter den ken, als den Erben des Guts Ringve,
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