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Die Meister der Am'churi (German Edition)

Die Meister der Am'churi (German Edition)

Titel: Die Meister der Am'churi (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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einer Bauersfrau gegenüberzustehen, darum dauerte es einen Moment, bis ihm bewusst wurde, wie seine gespannte Haltung und sein Schweigen auf die Ärmste wirken mussten. Hastig versuchte er es mit einem Lächeln, ohne zu wissen, ob sie das überhaupt sehen konnte, und trat mit offen erhobenen Händen einen halben Schritt vor.
    „Kann ich … Brauchst du Hilfe?“, fragte er unsicher.
    Die junge Frau strich sich zittrig über das Kleid, bevor sie das Lächeln scheu erwiderte, einen Tragekorb vom Rücken nahm und diesen mit verkrampften Fingern vor dem Körper hielt. Jivvin roch Baumharz, anscheinend hatte die Frau Weidenrinde geschnitten. Ob sie glaubte, dass die schmerzlindernde Heilwirkung der Rinde durch Mondlicht verstärkt wurde? Warum sonst sollte sie nachts allein durch den Wald laufen?
    „Ich … Euer Freund … Der dunklere Mann …“, stammelte sie zusammenhanglos.
    „Ni’yo? Hat er dich erschreckt?“, fragte Jivvin besorgt, sich nur allzu sehr bewusst, wie sein Geliebter auf diese einfachen Menschen wirkte. Noch ein Grund mehr, möglichst bald von hier zu verschwinden.
    „Nein! Nein, er …“ Sie griff in den Korb und holte etwas heraus, das in ein weißes Leintuch eingeschlagen war. Eine winzige Holzfigur befand sich darin, die einem Menschen ähnelte. Verblüfft nahm er sie entgegen, als die Frau sie ihm mit gesenktem Blick reichte. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
    „Er hat meinen Jungen gerettet“, flüsterte die Bäuerin, während ihre Finger mit dem Tragegriff spielten. „Ich weiß, dass es stimmt, ich hab gesehen, wie er meinen Kleinen gehalten und auf die Füße gestellt hat, als er ihn mir heimbrachte. Vorsichtig eben, nicht als wollte er …“
    Jivvin versuchte vergeblich zu begreifen, was sie ihm eigentlich sagen wollte.
    „Viele der anderen sagen, er hätte den Jungen weggelockt und irgendwas an ihm verhext, was die Dunklen so tun, Zauberei und so. Wero, mein Bruder, hat gesagt, er, also dieser Mann, hätte Erenn nur zurückgebracht, damit der uns jetzt Unglück bringen kann. Das ist Unsinn und alle wissen’s, aber’s ist gesagt worden. Wenn’s oft genug gesagt wird, fängt irgendwann einer an es zu glauben und meint, es könnte ja wirklich so sein. Und dann kann keiner mehr dagegen reden. Dann sagen irgendwann alle könnte ja sein und wer weiß, ob es nicht doch so ist. “
    Jivvin hatte Mühe, den Worten zu folgen, die wie ein Sturzbach über die Lippen der Frau flossen, aber er begann zu ahnen, wohin das hier führen würde.
    „Langsam!“, fuhr er dazwischen. „Ni’yo hat deinen Sohn … gerettet, vor was auch immer, und zu euch ins Dorf gebracht. Und dafür wollen deine Leute ihn angreifen? Verjagen?“
    Sie nickte, starrte ihn dabei aus riesigen, erschrocken aufgerissenen Augen an, in denen sich das Mondlicht spiegelte.
    „Noch reden sich nur alle die Köpfe heiß“, wisperte sie. „Viel Gerede, sonst nichts. Aber wenn jetzt irgendetwas sein sollte – eine Kuh wird krank und stirbt, ein Fieber, das umgeht, ein Hagelschauer, der die Ernte beschädigt – dann werden sie nicht nur reden, sondern auch glauben. Nebas, mein Mann, der sagte, pass auf, sagte er, irgendwann glauben’s alle, und dann geschieht was.“
    Sie schlang sich hastig den Korb auf den Rücken und wandte sich ab.
    „Ich hab nichts, was ich dem Dunkl… deinem – ich meine, Eurem Freund schenken kann, als Dank. Mein Junge wäre ohne ihn vielleicht nicht rechtzeitig gefunden worden. Ich hab nur den Glücksbringer dort, und keiner sollte das wissen, auch Nebas nicht. Ich wollte aber, dass dein Freund es erfährt. Dass er aufpassen muss, und du – Ihr auch. Die Figur dort zeigt Harla, sie bringt Glück.“ Jivvin nickte, er kannte die Göttin, die sich gelegentlich Wanderern offenbarte, die in der Wildnis verloren gegangen waren, und sie vor dem Verhungern rettete. Dass sie Glück brachte, hatte er noch nicht gehört, er hatte sich allerdings niemals wirklich mit den weniger bedeutsamen der zahlreichen Götter Arus beschäftigt.
    Die junge Frau blickte ihn über die Schulter an, in einer Mischung aus Angst und Erwartung.
    Jivvin neigte respektvoll den Kopf vor ihr. „Hab Dank, und mach dir keine Sorgen. Wir wollten gehen, sobald die Nächte wärmer geworden sind. Ob wir jemals hierher zurückkommen, weiß ich nicht.“
    Sie nickte stumm und schritt rasch davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Jivvin ging zurück in die Hütte und schloss die Tür.
    „Ni’yo, bist du wach?“, fragte er
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