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Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Mathias Malzieu
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sein …«
    »Das ist ja der Sinn der Sache.«
    Was dann passiert ist, weiß ich nicht. Ich erinnere mich nur an einen langen, düsteren Traum, gefolgt von schrecklichen Kopfschmerzen.

14
    ch lebe. Als ich die Augen aufschlage, fällt mein Blick als Erstes auf die alte Kuckucksuhr, die neben mir auf dem Nachttisch liegt. Es ist ein seltsames Gefühl, sein eigenes Herz in die Hand nehmen zu können. Der Kuckuck funktioniert nicht mehr, er ist völlig verstaubt. Ich fühle mich wie ein Gespenst, das auf seinem eigenen Grabstein sitzt und eine Zigarette raucht. Ich trage einen Schlafanzug, und mir stecken zwei Schläuche im Arm – noch mehr Ballast, den ich mit mir herumschleppen muss.
    Ich blicke auf mein neues Herz hinab. Sein Ticken ist kaum hörbar. Wie lange mag ich geschlafen haben?
    Das Aufstehen fällt mir schwer, mir tun alle Knochen weh. Méliès ist nirgends zu sehen. Dafür sitzt eine ganz in Weiß gekleidete Frau an seinem Schreibtisch. Wohl eine seiner Señoritas, die ich noch nicht kenne. Ich hebe die Hand, um die Frau auf mich aufmerksam zu machen. Sie fährt zusammen, als hätte sie einen Geist gesehen. Ihre Hände zittern. Also ist es mir schließlich doch noch gelungen, jemanden zu erschrecken.
    »Du bist wach! Ich bin ja so froh!«
    »Ich auch! Wo ist Méliès?«
    »Setz dich. Ich muss dir etwas sagen.«
    »Ich fühle mich, als hätte ich hundert Jahre lang im Bett gelegen, da kann ich ja wohl mal fünf Minuten stehen.«
    »Glaub mir, es ist besser, wenn du dich setzt. Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen.«
    »Wo ist Méliès?«, frage ich, während ich zurück auf das Bett sinke.
    »Er ist vor ein paar Monaten nach Paris zurückgekehrt. Er hat mich gebeten, bei dir zu bleiben und dich zu pflegen. Er liebt dich sehr, weißt du? Und nach dem … Unfall in Marbella hat er es bitter bereut, dir nicht schon eher reinen Wein eingeschenkt zu haben, obwohl er überzeugt ist, dass das nichts geändert hätte. Es ist höchste Zeit, dass du die Wahrheit über dich selbst erfährst.«
    »Was für ein Unfall?«
    »Erinnerst du dich nicht?«, fragt sie, und ihre Stimme klingt traurig. »Du hast versucht, dir die Uhr aus der Brust zu reißen, obwohl sie mit deinem Herzen vernäht war.«
    »Ach so, das …«
    »Méliès hat dir eine neue Uhr eingepflanzt, damit du dich besser fühlst.«
    »Damit ich mich besser fühle? Ich wäre sonst gestorben!«
    »Wenn man einen geliebten Menschen verliert, fühlt es sich immer so an, als müsse man sterben. Ich werde dir jetzt etwas über dein mechanisches Herz verraten. Hör gut zu. Es wird dir nicht leichtfallen, mir zu glauben …«
    Die Krankenschwester setzt sich neben mich und nimmt meine Hand. Ich spüre ihr Zittern.
    »Du brauchst diese Uhr nicht, um zu leben. Zwischen den Zahnrädern und deinem eigenen Herzen aus Fleisch und Blut gibt es keine direkte Verbindung. Die Uhr ist keine echte Prothese, sondern nur ein Placebo. Medizinisch gesehen hat sie keine Wirkung.«
    »Das kann nicht sein! Warum sollte sich Madeleine das alles ausgedacht haben?«
    »Sie hatte sicher ihre Gründe. Psychologische Gründe, nehme ich an. Vielleicht um dich vor ihren eigenen Dämonen zu schützen – so wie viele Eltern es auf die eine oder andere Weise tun.«
    »Unsinn! Aber jetzt verstehe ich, warum Madeleine mich zu einem Uhrmacher geschickt und mir geraten hat, mich von Ärzten fernzuhalten. Ihr versteht einfach nichts von dieser Art von Medizin!«
    »Ich weiß, das muss ein schwerer Schock für dich sein, aber um ins Leben zurückzufinden, musst du die Wahrheit kennen. Sonst wirst du nie ganz richtig … ticken. Entschuldige den Ausdruck.«
    »Ich glaube Ihnen kein Wort.«
    »Kein Wunder, schließlich hast du dein Leben lang an dein Uhrenherz geglaubt.«
    »Was wissen Sie schon über mein Leben?«
    »Ich habe deine Geschichte gelesen. Méliès hat ein Buch über dich geschrieben. Hier ist es.«
    Der Mann ohne Tricks steht auf dem Einband. Ich blättere das Buch rasch durch. Unsere Reise quer durch Europa, Granada, das Wiedersehen mit Miss Acacia, Joes plötzliches Auftauchen …
    »Warte! Lies das Ende noch nicht!«
    »Warum nicht?«
    »Erst musst du akzeptieren, dass dein Leben nicht von einer Uhr abhängt. Und glaub mir, wenn du diese Wahrheit annimmst, kannst du den Ausgang der Geschichte selbst bestimmen.«
    »Niemals! Sie lügen! Ich glaube Ihnen kein Wort!«
    »Dann wird dir dein unerschütterlicher Glaube an dein Uhrenherz immer wieder zum Verhängnis werden. Immerhin hast du
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