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Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Mathias Malzieu
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Schiefertafel über meinem Bett gerät ins Schwanken und droht herunterzufallen. Ich spüre die Schläge meiner Uhr bis unter die Zunge.
    Miss Acacia bittet Joe hinauszugehen, und er leistet ihrer Bitte mit der archaischen Höflichkeit eines Karatemeisters Folge. Vorsichtig setzt er Miss Acacia auf einem Stuhl ab, als fürchte er, sie könne zerbrechen. Seine Fürsorglichkeit widert mich an.
    »Hast du Joe geküsst?«
    »Wie bitte?«
    »Du hast ihn also geküsst!«
    Die Lawine gerät ins Rollen.
    »Wie kannst du das glauben?!? Er hat mir nur geholfen, mein Bein aus den morschen Brettern zu ziehen. Das hast du doch gesehen!«
    »Ja schon, aber ich rede von gestern … Er hat gesagt, ihr hättet euch –«
    »Glaubst du wirklich, ich will zu ihm zurück? Glaubst du wirklich, ich würde …? Du kapierst rein gar nichts!«
    Mir wird schlecht, ich spüre, wie gallige Glut in mir aufsteigt und sich in meinem Hirn ausbreitet. Die Angst, sie zu verlieren, und der Schmerz auf meiner Stirn verschmelzen und bündeln sich zu einem gewaltigen Stromstoß. Kurzschluss unter der Schädeldecke. Ich werfe ihr schreckliche Dinge an den Kopf, unverzeihliche Dinge.
    Noch während ich meine Wortsalven auf sie abfeure, will ich alles zurückspulen, meiner Zunge Zügel anlegen, aber die Galle hat ihr Gift bereits verbreitet. Die Bande, die uns zusammenhalten, reißen eins nach dem anderen mit lautem Schnalzen. Ich versenke unser Schiff, meine Worte schlagen Löcher in den Rumpf. Ich muss die Hass speiende Maschine, zu der ich mutiert bin, stoppen, bevor alles zu spät ist. Aber es gelingt mir nicht.
    Joe öffnet vorsichtig die Tür. Er sagt nichts, steckt nur den Kopf durch den Spalt, damit Miss Acacia weiß, dass er über sie wacht.
    »Alles in Ordnung, Joe. Mach dir keine Sorgen.«
    Ihre dunklen Pupillen schimmern unendlich traurig, aber aus den Grübchen neben ihrem süßen Mund sprechen bereits Wut und Verachtung. Ihre aufblühenden Wimpern, die ich so sehr geliebt habe, versprühen nur noch Nebel und Nieselregen.
    Eine kältere Dusche kann es nicht geben, aber immerhin holt sie mich in die Wirklichkeit zurück. Ich habe alles zerstört, ich sehe es im zerbrochenen Spiegel ihrer Augen, ich muss den Rückwärtsgang einlegen, und zwar sofort.
    Jetzt bleibt mir nur die Wahrheit. Ich riskiere Kopf und Kragen und schütte ihr mein Herz aus. Alles, was ich die ganze Zeit über vor ihr verbergen wollte, kommt auf den Tisch. Das hätte ich von Anfang an tun sollen, ich weiß, dass ich nicht die richtige Reihenfolge einhalte. Verzweifelt versuche ich, die Maschine volle Kraft zurückfahren zu lassen.
    »Ich liebe dich völlig verquer, weil ich … mit einem kaputten Herzen zur Welt gekommen bin. Es ist mir strengstens verboten, mich zu verlieben, weil meine Uhr zu empfindlich für intensive Gefühle ist. Sie können mich töten. Trotzdem habe ich mein Leben in deine Hände gelegt, denn du hast mir eine so hohe Dosis Liebe verabreicht, dass ich mich stark genug fühlte, alle Hindernisse zu überwinden.«
    Nicht der kleinste Grübchen in Sicht.
    »Ich mache alles falsch! Aber ich weiß einfach nicht, was ich tun soll, um dich nicht zu verlieren. Das bringt mich um. Ich liebe –«
    »Du glaubst also wirklich an deine Lügenmärchen! Du bist so erbärmlich!«, fällt sie mir ins Wort. »Wenn deine Geschichte auch nur ansatzweise wahr wäre, würdest du dich ganz anders verhalten. So viel ist sicher! Geh jetzt. Hörst du? Ich möchte, dass du gehst!«
    Der Kurzschluss weitet sich aus, erreicht mein glühendes Uhrwerk. Die Zahnräder knirschen düster und verkanten sich ineinander. Mein Gehirn ist längst durchgeschmort, und das verzweifelte Herz übernimmt das Steuer.
    »Du hältst mich also für einen Lügner? Ja? Na gut, dann machen wir die Probe aufs Exempel! Jetzt gleich! Du wirst schon sehen …«
    Ich zerre mit aller Kraft an meinen Uhrzeigern. Es tut höllisch weh. Ich packe das Gehäuse mit beiden Händen und versuche wie ein Wahnsinniger, mir die Uhr aus der Brust zu reißen. Ich will diese bleischwere Bürde loswerden und sie vor ihren Augen zerstören, damit Miss Acacia endlich kapiert, dass ich die Wahrheit sage! Der Schmerz ist unerträglich. Ich ziehe mit einem kräftigen Ruck: nichts. Ein zweites Mal: immer noch nichts. Beim dritten Mal fahren mir tausend Messer in die Brust. Wie aus weiter Ferne höre ich Miss Acacia flehen:
    »Tu das nicht! Tu das nicht!«
    Ein Bulldozer jagt durch meine Brust und walzt alles nieder.
    Es heißt,
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