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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen
Autoren: Anne Rice
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setzten alle sich hin, und die Diener schwebten durch den Raum. Er roch die Suppe, das Fleisch. Fremdartige Speisen.
    Ah, seine Rowan, da kam sie ins Zimmer und bestand auf irgend etwas, während sie die anderen anschaute, während sie disputierte, während sie die Männer aufforderte, sich wieder zu setzen. Eine weiße Serviette war zu Boden gefallen. Von den Wandbildern strahlte der makellose Sommerhimmel. Könnte er nur näher heran.
    Aber er konnte sie deutlich sehen, und ihn auch, und er hörte das Klirren der Löffel auf den Tellern. Der Duft von Fleisch, von Menschen, von…?
    Das mußte ein Irrtum sein! Aber der Duft war so scharf und so alt und so tyrannisch, daß er Besitz von ihm ergriff, und der Augenblick entglitt ihm. Der Duft der Frau!
    Und als er sich gerade noch einmal sagte: Das kann nicht sein!, als er Ausschau hielt nach der kleinen rothaarigen Hexe, da trat ins Zimmer der Taltos.
    Er schloß die Augen. Er lauschte auf sein Herz. Er atmete ihren Duft, der durch die Ziegelmauern drang, durch Ritzen und Spalten zwischen Rahmen und Fensterscheiben, Gott weiß wo heraussickerte, das Organ zwischen seinen Beinen in Regung versetzte und ihn zurückweichen ließ, atemlos, zur Flucht geneigt und doch absolut bewegungsunfähig.
    Frau. Taltos. Da. Und ihr rotes Haar loderte unter dem Kronleuchter, und sie breitete die Arme aus, während sie sprach, schnell, angstvoll. Er hörte die nackten hohen Töne ihrer Stimme. Und, oh, der Ausdruck auf ihrem Gesicht, ihrem neugeborenen Gesicht, und die Arme, so zart in dem weißen Kleid, und ihr Geschlecht tief darunter, pulsierend vom Duft, eine Blume, die sich öffnete im Dunkeln, ganz allein, und der Duft, der sein Hirn durchdrang.
    Mein Gott, und sie haben es mir verheimlicht! Rowan! Michael!
    Sie ist da, und sie hatten es ihm nicht gesagt, sie wollten, daß er es niemals erfuhr. Seine Freunde. Hexen!
    Frierend, fröstelnd, rasend vom Duft und betäubt zugleich, beobachtete er sie durch das Glas. Die Menschen, nicht die seinen, sperrten ihn aus, und da stand die wunderschöne Prinzessin, und weinte sie, tobte sie, hatte sie Tränen in den Augen? Oh, du prächtiges, schönes Geschöpf!
    Er trat hinter dem Gebüsch hervor, nicht willentlich, sondern einfach, weil er sich treiben ließ. Hinter dem schlanken Holzpfosten stand er, und jetzt konnte er ihr klagendes Rufen hören.
    »Er war auf der Puppe, der gleiche Geruch! Ihr habt die Verpackung weggeworfen, aber an der Puppe habe ich ihn gerochen! Ich rieche ihn hier in diesem Haus!« Sie weinte bitterlich.
    Oh, neugeborenes Baby.
    Und wer war dieser erhabene Rat, der ihr Flehen nicht erhören wollte? Michael hob die Hände und forderte Ruhe. Rowan senkte den Kopf. Einer der anderen Männer war aufgestanden.
    »Ich zerbreche die Puppe, wenn ihr es mir nicht sagt!« kreischte sie.
    »Nein, das wirst du nicht tun«, rief Rowan, und jetzt war sie es, die zu dem Mädchen lief. »Das wirst du nicht, das wirst du nicht, Michael, hol die Bru, halte sie auf!«
    »Morrigan, Morrigan…«
    Und sie weinte leise, und der Duft sammelte sich und wehte durch die Luft. Und ich habe euch geliebt, dachte Ash, und ich habe für kurze Zeit gedacht, ich wäre einer von euch. Er weinte. Samuel hatte so recht gehabt. Und dort, hinter den dünnen Glasscheiben… »Weine ich? Gehe ich hinein?« flüsterte er. »Zerschlage ich die Scheibe? Konfrontiere ich euch mit eurem eigenen, betrügerischen Schweigen, damit, daß ihr es mir nicht gesagt habt? Ihr habt es mir nicht gesagt! Nicht gesagt! Oh, wir weinen wie Kinder!«
    Und er weinte, wie sie weinte. Verstanden sie es denn nicht? Sie hatte seinen Geruch an den Geschenken gewittert, du lieber Gott, was für eine Qual, die arme Neugeborene!
    Sie hob den Kopf. Die Männer, die sie umringten, konnten sie nicht dazu bringen, sich hinzusetzen. Was hatte ihre Aufmerksamkeit erregt? Was hatte ihren Blick zum Fenster gelenkt? Sie konnte ihn nicht sehen in der spiegelnden Helligkeit des Raumes.
    Er trat rückwärts auf den Rasen. Der Geruch, ja, wittere den Geruch, meine Liebe, meine geliebte neugeborene Frau. Und mit geschlossenen Augen taumelte er rückwärts.
    Sie hatte das Gesicht an die Scheibe gedrückt, ihre gespreizten Hände. Sie wußte, daß er da war! Sie hatte es gemerkt.
    Was waren Prophezeiungen, was waren Pläne, was war Vernunft, wenn er ihresgleichen eine Ewigkeit lang nur in seinen Träumen gesehen hatte, oder alt und welk und ohne Verstand, wie Tessa es gewesen war, wenn sie heiß war
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