Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Jugend, und dann werden sie auf uns schauen und sich fragen. ›Ist es denn wahr, ist es denn so?‹ Und dann werden sie uns bitten, den Weg zu wählen.«
    Er ließ sich behutsam vom Bett rutschen und befürchtete daß ihm wieder übel werden könnte; mühelos tastete er sich von Bettpfosten zu Bettpfosten durch die Dunkelheit und dann in das schmale, weiße Marmorbad. Eine Erinnerung kehrte zurück – als sie das erste Mal in diesen Teil des Hauses gekommen waren, kurz vor der Hochzeit. Und die kleinen Trümmer einer zerbrochenen Statue hatten hier gelegen, auf den weißen Fliesen, die jetzt von weichem, farblosem Licht getränkt waren. Der verschleierte Kopf der Jungfrau, ungleichmäßig am Hals abgebrochen, und eine kleine Gipshand. Was war das gewesen? Ein Omen?
    Lieber Gott, und wenn Ash sie nun fand, und sie ihn? Lieber Gott, aber das ist ihre Entscheidung, nicht wahr?
    »Wir haben es nicht in der Hand«, flüsterte Rowan im Dunkeln.
    Er beugte sich über das Waschbecken, drehte den Hahn auf und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Zunächst lief es beinahe warm aus der Leitung, aber dann kam es tief aus der Erde und war richtig kalt. Schließlich trocknete er sich ab, betupfte sich das Gesicht zur Abwechslung ein bißchen barmherziger und legte das Handtuch zur Seite. Er streifte das Jackett und das steife, knautschige Hemd herunter, das jetzt überall nach Schweiß stank.
    Er zog ein frisches Hemd und darüber ein Sweatshirt an. Alles schön überdecken.
    »Sollen wir jetzt hinuntergehen?« Er knipste das Licht aus und suchte in der Dunkelheit nach ihr. Ihm war, als sehe er die Umrisse ihres gesenkten Kopfes. Ihm war, als sehe er einen Schimmer vom riefen Burgunderrot ihres Kostüms, und dann sah er tatsächlich das weiße Auflodern ihrer Bluse, als sie sich umdrehte – so sehr nach Südstaatenart war sie gekleidet, so vollendet.
    »Laß uns gehen«, sagte sie mit dieser dunklen Befehlsstimme, die ihn an Buttertoffee denken ließ und daran, mit ihr zu schlafen. »Ich will mit ihr sprechen.«
    Die Bibliothek. Sie waren schon alle da.
    Als er zur Tür hereinkam, sah er, daß Morrigan sich an den Schreibtisch gesetzt hatte. Königlich sah sie aus in weißer viktorianischer Spitze mit Stehkragen und eleganten Manschetten und einer Kamee am Hals; hinter dem Mahagonitisch war eine Flut von Taftröcken zu sehen. Monas Zwillingsschwester. Und Mona in weicherer, formloserer Spitze, zusammengerollt in dem großen Sessel, wie an jenem Tag, als er an Ryan und Pierce appelliert hatte, ihm bei der Suche nach Rowan zu helfen. Mona, die selbst eine Mutter brauchte, und einen Vater ganz sicher.
    Mary Jane hatte die andere Ecke besetzt, ein perfektes Gemälde in Pink. Unsere Hexen kommen in Pastellfarben, dachte er. Und Granny. Ihm war gar nicht klar gewesen, daß sie da war, in der Sofaecke, bis er ihr winziges, runzliges Gesicht sah, die verspielten, kleinen schwarzen Augen, ein faltiges Lächeln auf den Lippen.
    »Da sind sie!« sagte sie mit großartigem Spürsinn und streckte ihm die Arme entgegen. Er beugte sich über sie, um sich küssen zu lassen, und roch den süßen Puderduft, der aus ihrem gesteppten Hausmantel aufstieg. Das war das Vorrecht der ganz Alten: ständig fürs Bett gekleidet herumzulaufen. »Komm her zu mir, Rowan Mayfair«, sagte sie. »Ich will dir von deiner Mutter erzählen. Deine Mutter hat geweint, als sie dich hergab. Alle wußten es. Sie hat geweint und den Kopf abgewandt, als sie dich aus ihren Armen nahmen, und sie war nie wieder wie früher, nie wieder.«
    Rowan umfaßte die kleinen, trockenen Hände, und auch sie beugte sich hinunter, um den Kuß entgegenzunehmen. »Dolly Jean«, sagte sie, »du warst dabei, als Morrigan geboren wurde?« Sie warf einen Blick zu Morrigan. Sie hatte noch nicht den Mut gehabt, sie genau anzusehen.
    »Na klar«, sagte Dolly Jean. »Ich wußte, sie ist ein wandelndes Baby, bevor sie auch nur den Fuß aus dem Schoß streckte. Ich wußte es! Und vergiß nicht – was immer du sagst, was immer du denkst -, sie ist eine Mayfair, dieses Mädchen. Wenn wir Julien mit seiner mörderischen Ader verkraften konnten, dann können wir auch ein wildes Ding mit einem langen Hals und einem Gesicht wie Alice im Wunderland verkraften!«
    Michael lächelte. Na, es war verdammt gut, daß sie da war, daß sie es so gelassen hinnahm. Am liebsten hätte er jetzt zum Telefon gegriffen und angefangen, die Telefonate zu führen, die alle Mayfairs zusammentrommeln würden. Aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher