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Die Marionette

Die Marionette

Titel: Die Marionette
Autoren: Alex Berg
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Vertragliche besprechen.«
    Meisenberg stemmte seinen massigen Körper aus dem Stuhl, trat zu ihr und klopfte ihr in seiner bisweilen väterlichen Art im Vorbeigehen auf die Schulter. Als sie später zusammen mit ihm und Bender vom Konferenzraum aus beobachtete, wie die Fahrzeuge des Landeskriminalamtes und der Staatsanwaltschaft auf das Firmengelände fuhren, durchschaute sie das Spiel ihres Seniorpartners. Sie knöpfte sich gerade die dunkelgraue Jacke ihres Kostüms zu und überprüfte den Sitz ihres hochgesteckten Haars, als ihre Hände mitten in der Bewegung erstarrten und ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Sie meinte, jeder im Raum müsse das harte Knirschen ihrer Zähne hören. Ein flüchtiger Blick auf den hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann, der dort unten aus einem der Wagen stieg, genügte: Eric Mayer. Sie hätte ihn überall wiedererkannt. Mit wutblitzenden Augen wandte sie sich zu Meisenberg. Nie hätte sie gedacht, dass er seine Intrigen einmal gegen sie ausspielen würde. »Fachliche Kompetenz, ja?«, zischte sie, so dass nur er es hören konnte. »In dem Moment, in dem du erfahren hast, dass
er
kommen würde, hast du mich angerufen. Du nutzt meine Kontakte schamlos aus, mehr nicht.«
    Meisenberg wich nicht aus. »Es tut mir leid, Valerie«, sagte er zu ihrer Überraschung. »Ich hatte keine Wahl.«
    ***
    Schwäbische Alb, Deutschland
    Deutschland.
    Allein schon der Gedanke, der Klang fühlte sich fremd an.
    Katja Rittmer atmete die nebelfeuchte Luft des frühen Morgens ein und beobachtete, wie die Sonne durch die Wolken brach und die weißen Blüten des Obstbaumes an der Wegkreuzung vor ihr zum Leuchten brachte. Darunter glänzte das Dach des Marterls vor Feuchtigkeit. Der Stein der Marienfigur war verwittert, viel mehr noch als bei ihrem letzten Besuch. Katja seufzte unwillkürlich.
    In Kundus brannte die Sonne um diese Jahreszeit schon unerbittlich, Sandstürme fegten über die Ebene, und die Gebirge verloren sich im Dunst. Katja meinte das Rumpeln der gepanzerten Fahrzeuge zu hören, die von einer Patrouillenfahrt ins Feldlager zurückkehrten, und das Klopfen eines sich nähernden Hubschraubers, aber es war nur ein Traktor, der über den Feldweg langsam auf sie zufuhr. Statt in die müden, staubbedeckten Gesichter der Soldaten blickte sie in das wettergegerbte Gesicht eines alten Landwirts. Sie war in Deutschland, und es fühlte sich nicht gut an.
    Jenseits der Wegkreuzung führte die Straße zurück ins Dorf. Katja konnte die roten und braunen Ziegel der Dächer zwischen den Kronen der Bäume sehen und die Enge förmlich spüren, die das Denken der Menschen dort beherrschte. Sie spiegelte sich in den sauberen kleinen Äckern und gekehrten Gassen wider, dem Geläut der Glocken von der nahen Abtei und den Blicken der Mutter, die nicht wagte, zu fragen. Die sie nur ansah und sagte: »Du hast dich verändert.« Und diese vier Worte wie einen Vorwurf klingen ließ. Sie konnten nicht miteinander reden. Nicht über Afghanistan. Nicht über den Krieg. Nicht über Chris. Über ihn am allerwenigsten.
    Sie war bei ihm gewesen. Als er aufgewacht war im Zentralkrankenhaus der Bundeswehr in Koblenz, wohin sie alle Verletzten brachten, die aus dem Ausland kamen. Er hatte sie genau so lange angelächelt, bis sich die Erinnerung in sein benebeltes Hirn gedrängt hatte. Dann hatte er intuitiv versucht, seine Beine zu bewegen, die nicht mehr da waren, und sein Lächeln hatte sich in einen Ausdruck des Entsetzens verwandelt, den sie für den Rest ihres Lebens nicht vergessen würde. Das Einzige, was er zu ihr gesagt hatte, war: »Warum habt ihr mich nicht sterben lassen?« Danach hatte er sich geweigert, auch nur ein weiteres Wort mit ihr zu wechseln. Er wollte nicht essen und nicht trinken. Der Arzt hatte ihr erklärt, dass es vorübergehen würde, aber sie glaubte nicht daran. Sie kannte Chris.
    Behutsam ließ sie ihre Finger über den rauhen Stein der Marienfigur gleiten und spürte den sich auflösenden Gesichtszügen nach, ihr Herz ein schwerer, schmerzender Klumpen in ihrer Brust. Das verwitterte Gesicht der Maria, in dem die sanfte Güte und das milde Lächeln nur noch Erinnerung waren, erschien ihr mit einem Mal wie eine Metapher auf ihr eigenes Leben, das so unwiderruflich in Trümmer gebombt worden war von den Taliban. Sie war nicht das erste Mal in einer solchen Situation. Zurück auf null. Diesmal hatte sie jedoch Pläne gehabt. Das erste Mal in ihrem Leben. Und Chris war Teil dieser Pläne gewesen. In
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