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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)
Autoren: Wsewolod Petrow
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schreiben!«
    »Wem?«
    »Meinem Mann.«
    »Sind Sie etwa verheiratet, Verotschka?« fragte ich.
    »Ja, schon zum zweiten Mal. Mein Mann ist an der Front«, sagte Vera, »wir haben geheiratet, als ich in der Ausbildungsbrigade war. Dort fühlte ich mich wohl. Ich wollte mit ihnen an die Front. Aber als sie dort hingehen mußten, hat man mich in dieses Spital versetzt.«
    »Sie waren traurig, nehme ich an ...«
    »Nein, ich hatte selbst darum gebeten. Dort war auch nicht alles toll gewesen«, sagte Vera.
    »Nun, lassen Sie uns den Brief schreiben!« sagte ich.
    »Lieber Aljoschenka«, schrieb Vera, »ich fahre im Waggon. Überall ist Schnee.«
    »Was könnte ich weiter schreiben?« fragte sie.
    »So ist es sehr schwer«, sagte ich, »was sollen wir denn einem Menschen schreiben, über den ich nichts weiß? Erzählen Sie mir zuerst von ihm.«
    »Er ist noch jünger als ich«, sagte Vera, »er ist neunzehn Jahre alt. Er tanzt, singt sehr gut. Alle mochten ihn so sehr in dieser Brigade. Und auch den Mädchen gefiel er. Fragen Sie unsere Mädchen. Sie kennen ihn. Sie sind alle in ihn verliebt.«
    »Und Sie natürlich auch?« fragte ich mit Unbehagen.
    »Ich zeige Ihnen sein Foto«, sagte Vera und zog kleine Fetzen eines zerrissenen Fotos hervor.
    »Geben Sie mir das Buch, ich lege es darauf zusammen.«
    Ich bereitete mich darauf vor, die Foxtrottvisage irgendeines Turners zu sehen. Ich sah einen schwarzhaarigen Jüngling mit einem sehr schönen, irgendwie traurigen und hoffnungslosen Gesicht.
Chevalier des Grieux,
dachte ich.
    »Warum ist dieses Bild zerrissen?« fragte ich mit einiger Verwunderung.
    »Das war ich. Ich habe es zum Abschied vor seinen Augen zerrissen und ihm gesagt, daß ich ihn nicht liebe«, antwortete Vera, »ich war gemein zu ihm. Ich konnte damals alles machen, alles, was ich wollte. Er verzieh mir alles.«
    »Und er tat Ihnen nicht leid?«
    »Nein. Er konnte mir nichts verbieten. Ich wollte manchmal, daß er mich nicht fortläßt, gewaltsam festhält, und das konnte er nicht. Er bat nur, und ich tat alles ihm zum Trotz. Und einmal passierte es, daß er auf mich schießen wollte.«
    »Aber er hat doch nicht geschossen?«
    »Nein, hat er nicht. Als wir Silvester feierten, war er da, und außerdem ein Freund von ihm, so ein Koka; dieser Koka und ich saßen in einer dunklen Kammer. Aljunka fand uns; der Brigadekommandeur war bei ihm. Aljunka griff zur Pistole und richtete sie auf uns. Der Kommandeur schreit ihm zu: ›Mach sie beide kalt!‹ Und Koka ist aufgestanden und schweigt und lächelt, und er hat Grübchen in den Wangen. Aljunka warf die Pistole weg und lief davon.«
    Bei dieser Erinnerung hellte sich Veras Gesicht auf.
    »Er hat sich dann doch mit Ihnen vertragen?«
    »Ja. Und er hat sogar geweint. Er erzählte mir später so darüber: ›Ich komme herein, und ihr beide seid so aufgeregt, und Koka, der Nichtsnutz, ist so glücklich.‹«
    »Lieben Sie denn den Rosaj?« fragte ich.
    Veras Gesicht verfinsterte sich erneut.
    »Ich liebe ihn kein bißchen«, sagte sie.
    Rosaj diente in unserer Einheit und fuhr mit uns zusammen, im benachbarten Waggon. Alle wußten, daß er Veras Liebhaber gewesen war und sich unterwegs von ihr getrennt hatte. Aber in den letzten Tagen hatte er begonnen, sich wieder bei uns blicken zu lassen und Vera anzustarren, obwohl er gar nicht mit ihr redete und demonstrativ anderen Mädchen den Hof machte. Mir schien, daß Vera seinen Besuchen gegenüber nicht ganz gleichgültig war. Wenn er da war, setzte sie sich in eine Ecke und gab keinen Laut von sich.
    »Ich liebe ihn kein bißchen«, wiederholte Vera und warf den Kopf zurück.
    Ich konnte mich nicht von Veras wechselhaftem Gesicht losreißen, das nun schon wieder traurig war.
    »Wir werden den Brief wohl nicht mehr zu Ende schreiben«, sagte Vera.
    »Sie können Schauspielerin werden, Verotschka«, sagte ich, »das Wichtigste, was für die Kunst benötigt wird, haben Sie: Sie sind keine Nachahmerin.«
    »Wie das?« fragte Vera.
    »Alle gleichen einander im Leben, der eine ahmt den anderen nach oder alle zusammen noch jemanden, ohne das selbst zu wissen. Niemand ist fähig, auf seine eigene Weise zu leben. Alle sind einander wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie aber leben, wie Sie selbst wollen, wie es Ihnen eigen ist«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Vera mit einiger Verwunderung.
    »Und jetzt sage ich Ihnen noch eine Sache, und nach der werden Sie sofort schlafen gehen«, sagte ich und nahm Veras Kopf mit beiden Händen.
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