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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)
Autoren: Wsewolod Petrow
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Der Wachhabende, der die Pflicht hatte, nachts zu heizen, füllte für gewöhnlich den Ofen bis obenhin mit Brennholz, um dann zu dösen, bis es völlig verbraucht war. Ich befreite ihn bereitwillig von der Notwendigkeit, aufzustehen und nachzulegen. Die Lampe brannte nicht mehr. Das Licht kam nur vom Ofen. Aus der Dunkelheit hörte man Schnarchen und Atmen. Ich setzte mich ans Feuer und saß still, ohne Gedanken, und fühlte, wie die Zeit stehengeblieben war – nichts bewegte sich, nichts änderte sich, und alles war nur von sich selbst erfüllt, wie in der Malerei: Dort siehst du ebenfalls die bewegungslose Daseinsfülle jedes Dings, das gegen die Zeit und gegen Veränderungen gefeit ist. Nur der leichte Rauch meiner Papirossa schwebte, als wehe ein warmer Wind.
    Vera Muschnikowa, die nach dem gestrigen Triumph über ihre Freundinnen auch nicht schlafen konnte, tauchte plötzlich in der Mitte des Waggons auf.
    »Setzen Sie sich für einen Augenblick zu mir, Verotschka«, sagte ich.
    »Warten Sie, ich bin ganz zerzaust«, sagte Vera und begann, sich mit schnellen, präzisen Bewegungen die Haare zu richten. Es tauchten zwei Locken auf – rechts und links. Ohne die Frisur zu vollenden, setzte Vera sich neben mich und zuckte vor Kälte zusammen.
    »Kalt«, sagte Vera.
    Ich legte ihr meine Jacke um die Schultern und rückte zur Seite, damit sie am Feuer Platz hatte.
    Es gab nichts, worüber wir reden konnten.
    Ich brach als erster das Schweigen.
    »Sie sitzen wie auf einer Bühne«, sagte ich, »das Licht fällt auf Sie, rundherum nur Dunkelheit. Als ob dort der Zuschauerraum wäre. Und ich der einzige Zuschauer.«
    »Stimmt«, sagte Vera, »es sieht ein wenig so aus.«
    »Haben Sie schon einmal auf der Bühne gespielt?«
    »Ich hatte Schauspielunterricht in einem Theater«, sagte Vera.
    »Waren Sie lange dort?« fragte ich, weil ich nicht wußte, was ich sonst fragen sollte.
    »Nicht lange«, sagte Vera, »ich bin viel rumgekommen.«
    »Was haben Sie vor dem Krieg gemacht, Verotschka?«
    »Zuletzt war ich in einer Requisitenwerkstatt. Wir bereiteten verschiedene Dinge für Aufführungen vor.«
    »Und früher?«
    »Ganz am Anfang war ich Küchenhilfe. Und dort habe ich für eine Ausstellung eine Ballerina gemacht.«
    »Aus Wachs?«
    »Nein, aus Butter. Und mit einem Seidenkleid von einer Puppe. Meine Ballerina kam in die Ausstellung, und man nahm mich in der Requisitenwerkstatt auf. Aber dort gefiel es mir nicht. Dort war es wie auf einem Hinterhof.«
    »War es als Küchenhilfe besser gewesen?«
    »Nein, auch dort war es langweilig. Wissen Sie, die Köche saßen ständig irgendwo im Kabuff hinter der Küche, mit roten Nasen, und tranken Tee. Ich wollte mir dort ein unglaubliches Gericht ausdenken, damit es mich berühmt macht.«
    »Sie wollen Ruhm?«
    »Will ich. Irgend etwas besser als jeder andere schaffen, damit alle auf mich schauen und mich imitieren.«
    »Egal was, Hauptsache berühmt werden?«
    »Wissen Sie«, sagte Vera, »ich konnte, als ich noch klein war und in den Zirkus ging, danach selber verschiedene Kunststücke. Zum Beispiel – das ist sehr schwer: ein Glas Wasser nehmen und sich auf den Boden legen und dann aufstehen und keinen einzigen Tropfen verschütten.«
    Ihr Gesichtsausdruck wechselte, sie wurde lebhafter und bekam Interesse am Gespräch wie ein kleines Mädchen.
    »Und gefiel es Ihnen in dem Theater?«
    »Ja, aber ich war nicht lange dort«, antwortete Vera. »Ich kann jemanden spielen, wollen Sie?« Daraufhin stand sie auf, streckte sich und zuckte mit dem Kopf, exakt so, wie ich es tue. Dann machte sie abwesende Augen und starrte irgendwohin.
    Ich brach in Gelächter aus.
    »Sie könnten Schauspielerin sein. Sie haben eine hinreißende Art zu reden und sehr präzise Bewegungen«, sagte ich.
    »Wie haben Sie das bemerkt?« fragte Vera. »Ich dachte, daß Sie keine von uns jemals wahrgenommen hätten.«
    »Warum?«
    »Weil Sie ewig dort oben liegen und nur mit Aslamasjan und der Ärztin Nina Aleksejewna reden. Sie gefällt Ihnen wohl.«
    »Ich liege dort, weil ich krank bin«, sagte ich.
    »Was haben Sie?«
    »Mein Herz ist krank«, sagte ich und erinnerte mich an meine Ängste.
    »Das habe ich auch manchmal«, sagte Vera leichthin, »es schmerzt eine Weile und geht vorbei. Aber trotzdem, sie gefällt Ihnen, Nina Aleksejewna?«
    »Sie gefallen mir«, sagte ich und umschlang Vera.
    Wieso tue ich das?
dachte ich und drehte sie zu mir, um sie zu küssen. Vera folgte der Drehung. Ich wich etwas
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