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Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)

Titel: Die Manon Lescaut von Turdej (German Edition)
Autoren: Wsewolod Petrow
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schrie Rosaj und griff Veras Arm.
    Vera riß sich los, er griff sie erneut.
    »Lassen Sie mich«, sagte Vera, aber Rosaj hielt sie kräftig fest.
    Mit versteinerter Miene blickte ich auf Vera. Sie konnte in Tränen ausbrechen oder konnte vielleicht sofort Gefallen an dem Spiel finden. All das sah ich in ihrem Gesicht. Vera warf sich zur Seite, Rosaj zog an ihr. Beide fielen. Er atmete schwer. Mir schien, daß er angefangen hatte, sie zu kneifen.
    »Nicht!« sagte Vera mit schwacher Stimme.
    »Vielleicht verlegen Sie Ihr Spiel an irgendeinen anderen Ort?« sagte Nina Aleksejewna verärgert.
    Rosaj beachtete sie nicht. Er sprang wieder auf Vera. Man lachte. Endlich setzte Rosaj sich, und Vera setzte sich neben ihn. Ich stieg von der Pritsche, verschwand aus dem Waggon und lief durch die Frühlingspfützen. Vera hatte ihre Wahl getroffen. Mir war egal, wohin ich gehen würde. Auf dem Weg traf ich auf Aslamasjan.
    »Kommen Sie mit mir«, sagte Aslamasjan, »stellen Sie sich vor: In diesen Häuschen kann man Wodka auftreiben!«
    »Mit dem größten Vergnügen«, sagte ich.
    Als wir zurückkamen, waren weder Rosaj noch Vera im Waggon. Mir schien, daß ich sie bei den Häuschen mit Wodka gesehen hatte. Aber ich war ihnen nicht nachgegangen, und womöglich irrte ich mich.
    »Nicht schlecht, was Ihre Manon Lescaut für Szenen aufführt«, sagte Nina Aleksejewna.
    »Ach, das ist doch völlig im Einklang mit den hiesigen Sitten«, sagte ich lässig.
    Vera kam nicht. Ich fühlte die Blicke des ganzen Waggons auf mir. Nina Aleksejewna sah mich mit spöttischem Mitleid an. Zu bleiben war unerträglich.
    »Na, ich gehe dann mal das achtzehnte Jahrhundert erforschen«, sagte ich, nahm den »Werther« und machte mich davon.
    Ich wandelte im Labyrinth der Waggons, dort war es gar nicht schwer, den Weg zu finden. Wenn ich auf Vera träfe, ginge ich vorüber, wiche ihr aus.
Natürlich, ich bin einfach
lächerlich für sie , dachte ich. Aber Vera war nirgends.
    Ich kehrte erst in den Waggon zurück, als alle sich schon schlafen gelegt hatten. Vera war nicht aufgetaucht. Aslamasjan wartete noch auf mich. Wir tranken stumpfsinnig und unendlich langsam den Wodka. Danach lag ich lange mit geöffneten Augen in der Dunkelheit und sagte mir ein Gedicht von Olejnikow auf:
    Eines Tags hat die schöne Vera
    Sich frei am Körper gemacht
    Und mit ihrem Süßholzraspler
    Die ganze Nacht durchgelacht.
    Es ging tatsächlich lustig zu,
    In echter Fröhlichkeit.
    Doch draußen gab es keine Ruh’,
    Der Regen schlug ans Glas.
XII.  Vera kam erst am Morgen und wollte unauffällig unter die Pritsche verschwinden, aber es war zu spät: Alle waren schon aufgestanden, der ganze Waggon ging seinen Beschäftigungen nach.
    Sie hatte wahrscheinlich etwas früher kommen wollen, aber hatte liederlich herumgetrödelt und war nun zu spät dran. Ich hatte durch das Fenster gesehen, wie sie ängstlich aus einem niedrigen Bahnhofshäuschen gekommen und über einen Umweg in den Waggon geschlichen war.
    Man empfing Vera mit eisigem Schweigen. Doch die Sticheleien konnten jede Minute beginnen. Die Stille war gefährlich. Levit räusperte sich auf seiner Pritsche.
    »Geben Sie mir einen Spiegel, Verotschka«, sagte Nina Aleksejewna und rettete Vera damit.
    Die Anspannung legte sich. Vera durchwühlte hektisch ihr Körbchen. Die Steinigung hatte nicht stattgefunden. Alle hatten sich plötzlich beruhigt. Tatsächlich, es war nichts passiert! Vera mied mich, schaute nicht ein einziges Mal zu mir. Ich blieb standhaft: Ich grüßte sie freundlich, begann, mich langsam zu waschen, und scherzte mit Aslamasjan über unser Gelage vom Vortag.
    Ich trat mit meinem »Werther« hinaus, um spazierenzugehen, ohne mich um die Richtung zu kümmern. Besser gesagt, ich ging absichtlich nicht dorthin, wo Vera und ich sonst waren. Aber ich hatte es noch nicht geschafft, zwischen den Zügen zu verschwinden, da holte Vera mich ein.
    Sie trat heran und lächelte unsicher und frech zugleich. Ich blieb stehen. Vera wartete und schwieg; ich begann kein Gespräch.
    »Sie denken ekelhaftes Zeug über mich«, sagte Vera.
    »Überhaupt nicht, Verotschka«, sagte ich.
    »Und ich habe überhaupt keine Schuld Ihnen gegenüber«, sagte Vera und stampfte mit dem Fuß.
    »Natürlich, überhaupt keine. Sie haben mir nichts versprochen; Sie haben das Recht zu handeln, wie Sie es für richtig halten«, sagte ich.
    »Ich habe nichts Schlechtes getan«, sagte Vera und stampfte noch einmal.
    »Sie haben Ihre Wahl
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