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Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen

Titel: Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen
Autoren: Willy Seidel
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sagte Mathilde sehr eifrig und schob ihm die Zuckerdose herüber.
    »Ich würde es vorziehen,« beharrte Herr Brecht, »den Zucker von Ihnen persönlich in den Kaffee geworfen zu bekommen.« – – Man sieht, er war in neckischer Stimmung und veranlaßte durch seine Beharrlichkeit die kleine Frau, sich auf das Sofa neben ihn zu setzen, um seinen Wunsch zu erfüllen. Herr Brecht, das wußte sie, liebte es, wenn man ihm auf dem Buchstaben gehorchte. – Nicht bloß an der Schreibmaschine. – Während dieses Intermezzos geschah die Katastrophe (doch hier ist es unerläßlich, daß ich einen Scheinwerfer auf die Situation richte).
    Herr Brecht hatte sich mit seiner neuen Sekretärin außerordentlich gut eingearbeitet. So war es ihm auch denn zur Gewohnheit geworden, die kleine Frau nach Büroschluß noch etwas zu begleiten. Einerseits schützte er sie auf dem Heimweg, und andererseits tat es ihm gut, noch etwas frische Luft zu schöpfen. So verband er mit seinem angeborenen Sinn fürs Praktische das Angenehme, nämlich die Erfüllung einer Kavalierspflicht mit dem Nützlichen; schlug sozusagen zwei Fliegen auf einen Schlag. Daß er sich zuweilen davon überzeugte, daß die kleine Frau auch gut in ihre Wohnung hinaufgelangte, war eine freiwillige Erweiterung dieser Kavalierspflicht; daß während solcher Inspektion auch der Genuß eines Täßchens Kaffee seine Gründlichkeit belohnte – wer will es ihm verübeln? Nach außen hin sah es zwar so aus, als hätte er für seine Erholung andere Tageszeiten wählen können als ausgerechnet ein Uhr nachts . . . Jedoch: was wissen wir? Schreiben wir in kleinlicher Weise einem vielbeschäftigten Mann etwa die Stunden vor, wann er sich erholen soll?
    – – – Es kann des Verständnisses wegen nicht verschwiegen werden, daß der Arm Frau Mathildes mit dem seinen in Kontakt geriet, und daß er in eigenmächtiger, geradezu herrschsüchtiger Weise diesen Arm als Schal für seinen Hals verwendete, obwohl es heute im August 23 keineswegs zugig in der Wohnung war. Doch vielleicht war Herr Brecht in bezug auf Hexenschüsse besonders empfindlich. Mit einer Bewegung, die leider sehr nach mechanischer Gewohnheit aussah, ergriff er einfach diesen Arm und zog ihn sich versonnen um die Schultern seines prachtvoll geschnittenen und prallsitzenden Cutaways. Dies muß alles gesagt werden, damit man begreift, warum das Folgende passierte.
    Drehte sich nicht plötzlich der Schlüssel in der Gangtür? – Ein paar schwere Schritte erdröhnten im Flur, und dann zeigte sich jemand im Türrahmen; ein Mensch, der einen Handkoffer trug und deshalb sofort vermuten ließ, er sei Herr Zinkeisen, – dazu kam noch, daß er als der einzige, Dritte im Besitz der Schlüssel war. – Der Mensch zeigte in der Tat frappierende Ähnlichkeit mit dem Hausherrn; was Mathilde jedoch zu dem großen Schrei veranlaßte, war sein geschmolzenes Format und sein heruntergekommenes Äußere. Hand aufs Herz, dies allein und nichts anderes war der Grund ihres erstaunten Aufschreis und der plötzlichen Bewegung, mit der sie vom Sofa fuhr. »Himmel! Edmund!« schrie sie. »Bist du das? Mein Gott, wie siehst du aus!«
    Herr Brecht war keineswegs erschrocken. Er nahm die Tasse, die er zum Mund geführt, bedächtig wieder ab, wobei er sich die Lippen leckte. – »Na, zurückgekommen, Zinkeisen?« sagte er. »Sehen in der Tat etwas schlanker aus.«
    Herr Zinkeisen trug mit zwei schweren Schritten den Koffer ins Zimmer und deponierte ihn auf dem Teppich. Dann stellte er sich reglos daneben und machte noch keine Anstalten, näherzutreten. Er dreht seine Augen langsam zwischen den beiden hin und her und sprach dann:
    »Ich hätte nicht erwartet, Herr Brecht, Sie in meiner Wohnung anzutreffen.«
    Wenn Herr Brecht überhaupt seine Fassung verloren hatte, so ließ er es jedenfalls nirgendwie durchblicken. Er tat einen Paffer aus seiner Brasilzigarre und äußerte: »Und nun treffen Sie mich an. – Sehen Sie mal.« Er kniff die schiefen Augen leicht zusammen und schob die pralle Unterlippe vor. – Herr Zinkeisen taumelte ein wenig, als habe man ihm einen Schlag vor die Brust versetzt; dann stabilisierte er sich, ohne noch vom Fleck zu weichen.
    »So setz dich doch endlich!« rief Frau Mathilde. »Du bist ja ganz schwach! – Ich mache schnell noch etwas Kaffee!«
    »Kapitale Idee«, sagte Zinkeisen jetzt und kam heran. Er ließ sich auf den freistehenden Fauteuil nieder. Schulmeisternd setzte er hinzu: »Doch laß das lapprige
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