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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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in einen Salon führte, wo ich sie in großem Staat und von fünf Personen umringt vorfand. Lord Dudley, einer der einflußreichsten alten englischen Staatsmänner, stand da am Kamin, steif, unnahbar und abweisend, mit dem spöttischen Ausdruck, den er wohl im Parlament haben muß; er lächelte, als er meinen Namen hörte. Die beiden Kinder Arabellas, die auffallend Monsieur de Marsay, einem unehelichen Sohn des alten Lords, glichen, standen bei ihrer Mutter. Auch Marsay war zugegen, er saß auf einem kleinen Diwan neben der Marquise. Als Arabella mich sah, setzte sie gleich ihr hochmütigstes Gesicht auf, fixierte meine Reisekappe, als wollte sie mich jeden Moment fragen, was ich denn bei ihr zu suchen habe. Sie maß mich mit verächtlichen Blicken, etwa wie einen kleinen Landedelmann, der ihr vorgestellt wurde. Unsere innigen Beziehungen, ihre ewige Leidenschaft, ihr Gelübde, zu sterben, sobald ich aufhörte, sie zu lieben, die ganze Armiden-Komödie, all das war wie ein Traum verweht. Ich hatte nie ihre Hand gedrückt, ich war ein Fremder, sie kannte mich nicht mehr. Trotz der diplomatischen Kaltblütigkeit, an die ich mich schon gewöhnt hatte, war ich höchst erstaunt, wie das jeder andere an meiner Stelle ebenso gewesen wäre, Monsieur de Marsay lächelte seine Stiefel an, die er mit merkwürdiger Absichtlichkeit prüfte. Ich hatte bald meinen Entschluß gefaßt. Von jeder andern Frau hätte ich eine solche Demütigung ruhig hingenommen; aber ich war empört, die Heldin, die vor Liebe sterben wollte und die die Tote verspottet hatte, so stolz dastehen zu sehen, und beschloß, Frechheit gegen Frechheit auszuspielen. Sie kannte Lady Brandons Mißgeschick; sie daran erinnern hieß ihr einen Dolchstich ins Herz versetzen, obwohl bei ihr die Waffe abgleiten mußte.
    »Madame«, sagte ich, »Sie werden verzeihen, daß ich in diesem Aufzug bei Ihnen eingedrungen bin, wenn Sie erst wissen, daß ich aus der Touraine komme und daß mir Lady Brandon einen Auftrag für Sie gegeben hat, der sich nicht aufschieben läßt. Ich fürchtete, Sie seien schon nach Lancashire aufgebrochen; aber da Sie in Paris bleiben, werde ich Ihre Befehle abwarten und die Stunde, wann Sie mich empfangen wollen.«
    Sie nickte mit dem Kopf, und ich ging hinaus. Seit jenem Tage habe ich sie nur noch in der Gesellschaft getroffen, wo wir einen freundlichen Gruß und manchmal eine spöttische Bemerkung austauschten. Ich erzähle ihr von den untröstlichen Frauen aus Lancashire, sie mir von den Französinnen, die ihrer Verzweiflung die Ehre eines Magenleidens erweisen. Dank ihren Bemühungen habe ich einen Todfeind in Monsieur de Marsay, den sie sehr schätzt. Und,ich sage ihr, daß sie mit zwei Generationen verheiratet sei. So fehlte nichts an meinem Unglück. Ich führte den Plan aus, den ich in der Zurückgezogenheit in Sache entworfen hatte. Ich stürzte mich in die Arbeit, beschäftigte mich mit Wissenschaft, Literatur und Politik. Bei der Thronbesteigung Karls X. trat ich in die Diplomatie ein, da der König das Amt aufhob, das ich bei seinem Vorgänger innehatte. Von diesem Augenblick an beschloß ich, mich nie mehr um eine Frau zu kümmern, sei sie auch noch so schön, geistreich und liebevoll. Dieser Entschluß bekam mir sehr gut. Ich gewann die größte Seelenruhe, viel Energie für die Arbeit und begriff, wieviel die Frauen von unserm Leben vergeuden, wofür sie uns mit ein paar freundlichen Worten schadlos halten wollen. Aber alle meine Vorsätze wurden zunichte – Sie wissen, wieso und warum.
    Liebe Natalie, nachdem ich Ihnen mein Leben rückhaltlos und ohne Verstellung erzählt habe, als spräche ich zu mir selbst, indem ich Ihnen Gefühle beichte, denen Sie fernstehen, habe ich vielleicht Ihr zartfühlendes, eifersüchtiges Herz gekränkt. Aber was eine gewöhnliche Frau erbittern würde, wird für Sie gewiß ein Grund mehr sein, mich zu lieben. Leidenden und kranken Seelen gegenüber haben Ausnahmefrauen ein erhabenes Amt zu versehen: das der Barmherzigen Schwester, die Wunden verbindet, das der Mutter, die ihrem Kinde verzeiht. Künstler und große Dichter sind nicht die einzigen, die leiden. Männer, die für ihr Land, für die Zukunft der Nationen leben, erweitern den Gesichtskreis ihrer Leidenschaften und Gedanken, verdammen sich aber oft zu grausamster Einsamkeit. Es ist ihnen Bedürfnis, eine reine, aufopfernde Liebe neben sich zu fühlen. Glauben Sie mir, sie wissen den ganzen Wert einer solchen Zuneigung zu schätzen. Morgen
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