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Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1

Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1

Titel: Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
Autoren: Elspeth Cooper
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heftig in den Oberarm, dass es wehtat.
    »Hab schon Bessere gesehn«, brummte der Mann. »Aber er hat genug Kraft.«
    »Weitermachen.«
    Gairs Eskorte zerrte ihn auf den Holzblock zu. Ein Tritt in die Kniekehlen zwang ihn, niederzuknien, während die Fessel an seinem linken Handgelenk geöffnet wurde. Verzweifelt schlug er mit der losen Kette aus, aber er traf niemanden. Einer der Marschälle rammte ihm den Stiel seines Streitkolbens gegen den Kopf.
    »Gib Ruhe, Scheußling«, knurrte der Marschall. »Ertrage deine Bestrafung gefälligst wie ein Mann, wenn schon nicht wie ein Ritter!«
    Die Mittagssonne war allzu hell; sie warf Schatten, die schwarz und scharf wie Dolche waren und gegen Gairs Schädel hämmerten. Er konnte sich nicht konzentrieren und hatte keine Kraft zum Widerstand, als sein linker Arm auf den Block gezwungen und der andere an der Kette nach hinten zwischen seine Schulterblätter gerissen wurde. Seine Finger wurden unter eine breite Eisenklammer gedrückt und Lederriemen um Ellbogen und Handgelenk geschlungen. Blut tropfte von seinem Gesicht und fleckte die staubigen Steine wie Sommerregen.
    Der Schmied wickelte ein Stück Leder um den Griff des Eisens und hob es aus den Kohlen der Pfanne. Die strohfarbene Spitze des Brandeisens rauchte, und die Luft um sie herum wogte.
    O Göttin, nein . Gair versuchte, seine Hand zu befreien, aber die Riemen hielten sie fest.
    »Nein«, stöhnte er. Der Atem entwich ihm pfeifend durch die zusammengebissenen Zähne. »Göttin, bitte! Nein!«
    Die abstrahlende Hitze des Eisens traf ihn wie ein Faustschlag, als es mitten über seiner Handfläche schwebte. Schweiß trat ihm auf die Haut. Der Schmied schaute kurz in Bredons Richtung und wartete auf den Befehl. Dann drückte er das Brandeisen nach unten.

2
    Der Wind blies von dem verschneiten Gipfel mit einer Schärfe herunter, die Gair den Atem raubte. Diesmal war er so hoch geklettert, wie er sich traute, und hatte einen Felsvorsprung weit oberhalb der Baumgrenze erreicht, wo die Luft so dünn und kalt war, dass sie in seiner Lunge brannte. Hierher gehörte er. Hier konnte er ganz er selbst sein, und niemand außer dem Himmel beobachtete ihn.
    Er trat an den Rand des Vorsprungs. Der Wind fegte ungestüm, kalt und heftig, als ob er sich an seiner Freiheit erfreue, genau wie Gair. Unter seinem Ausguck lag die Bergkette des Laraig Anor – ein Labyrinth aus schwarzem Granit und blauen Schneeschatten, das auf die Sonne wartete. Bald würde sie hinter den Gipfeln in seinem Rücken aufsteigen. Der Himmel wurde bereits heller, und die letzten Sterne waren schon lange verblasst. Simiel Tagbringer stand wie ein bloßer Geist im Westen, gelb wie alte Knochen.
    Er machte einen weiteren Schritt. Der Wind ergriff ihn; Gair breitete die Arme aus und hieß ihn willkommen. Nun fiel das Licht der aufgehenden Sonne auf den Tir Breann ihm gegenüber und machte den Schnee so hell wie Stahl, der frisch aus der Schmiede kam. Nach einem weiteren Schritt spürten seine Zehen den Rand des Felsens. Es war fast so weit. Nun beugte er sich vor in die Leere; nur der Wind war zwischen ihm und einem langsamen Sturz ins Nichts, aber er hatte Vertrauen. Der Wind würde ihn tragen, wie er es immer tat. Solange Gair lebte, würde er nicht fallen.
    In gespannter Erwartung schlug sein Puls schneller. Der neue Tag war nahe. Das Tal unter ihm hielt den Atem an. Noch ein Augenblick, ein Blinzeln, ein Herzschlag. Jetzt . Er sprang.
    Einen Moment lang hing er schwerelos in der Luft, stieg weder auf noch ab, flog nicht und fiel nicht, sondern war geborgen wie ein Zauber in einer Kugel aus feinstem Inselkristall. Seine Muskeln bewegten sich, glitten übereinander und verschoben sich gegeneinander, bewegten Knochen und Sehnen nach einem komplizierten Muster, das es ihm ermöglichte, sich vom Wind tragen zu lassen. Vollkommen. Seine Flügel schlugen und wisperten ihr Lied. Das Sonnenlicht ließ seinen Leib wie Gold und Feuer leuchten. Absolut vollkommen .
    Und dann fiel er.
    Ruckartig erwachte Gair. Der Atem entwich aus seiner Lunge, ihm sackte der Magen, und er fiel noch immer in der Stille der Berge – allerdings befand er sich gar nicht mehr im Gebirge. Hunde bellten in der Ferne, Wagen rumpelten über Kopfsteinpflaster. War er in der Stadt? Nicht im Mutterhaus; das Bett unter ihm war dafür zu weich, und die Leinenlaken waren zu fein. Wo war er?
    Er stemmte sich hoch, und in seiner linken Handfläche brach ein Feuer aus. »Heilige Mutter!« Er drückte die
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